Tschechischer Binnenmarktnationalismus: bald nur noch böhmische Bohnen und mährische Möhren im tschechischen Supermarkt?

Eine Novelle des tschechischen Lebensmittel- und Tabakgesetzes kann zur zwangsweisen Quotierung von tschechischen Lebensmitteln ab Anfang 2022 von 55 % führen, die bis zum Jahr 2028 auf 73 % ansteigen soll.

Am 20. Januar 2021 hat das Unterhaus des Tschechischen Parlaments, die Abgeordnetenkammer, eine Novelle des Lebensmittel- und Tabakgesetzes (Gesetz Nr. 110/1997) verabschiedet, die am 18. März 2021 vom Senat einstimmig zurückgewiesen wurde und nun wieder im Unterhaus zur Beratung liegt. Diese Novelle soll zu einer obligatorischen Quote von tschechischen Lebensmitteln und Agrarprodukten in Geschäften mit einer Fläche von mindestens 400 m2 führen. Die genaue Liste der Lebensmittel und Agrarprodukte ist in einer Anlage Nr. 1 zur Novelle genau aufgeführt – ca. 130 Positionen, angefangen bei grünen Bohnen und grünen Erbsen, endend mit Eiern und Hefe – die Liste ist für eine Marktwirtschaft einigermaßen absurd, und der Eindruck lässt sich nicht ganz vermeiden, dass im Landwirtschaftsministerium oder in der Fraktion der Sozialdemokraten, der Okamura-SPD oder der Kommunisten irgendein Genosse aus seiner verdienten Pension, der seine Lehre noch bei der sowjetischen Planwirtschaftsbehörde GosPlan (russ. „Госплaн“) oder dessen tschechoslowakischen Pendants SPK – der sog. „Staatlichen Planungskommission“ – erfahren hatte, wiederbelebt worden ist, der diese Liste aufgesetzt hat.

Ob der Senat diesem Gesetzesvorhaben zustimmen wird, ist zurzeit unklar, aber auch wenn er dieses Gesetz zurückweist, könnten die Abgeordneten des Unterhauses das Veto des Senats mit einer absoluten Mehrheit überstimmen und damit das Gesetz verabschieden. Dann läge es am Präsidenten der Tschechischen Republik, das Gesetz auszufertigen oder seine Unterschrift unter dem Gesetz zu verweigern.

Die Novelle enthält etwas versteckt erhebliche Beschränkungen, ausländische Produkte anzubieten, die nur die Betreiber von Läden über 400 m2 betreffen – dies trifft insbesondere internationale Ketten wie Lidl, Kaufland, Billa, Tesco, Globus, etc. Der Anteil der tschechischen Produkte im Lebensmittelbereich soll ab 1.1.2022 von 55 % auf sukzessive 73 % ab dem 1.1.2028 steigen. Pikant ist die Novelle, weil deren Hauptprofiteure der Landwirtschaftsminister und der Premierminister selbst sein könnten – mit den hinter ihnen stehenden Unternehmen.

Weiterhin enthält die Novelle strenge Bußgeldvorschriften, je nach Größe des Ladenlokals: Verstöße können mit Bußgeldern bis zu 10 Mill. CZK belegt werden. Zuwiderhandlungen können von den zuständigen Behörden – dem Innen- und Verteidigungsministerium, der sog. Staatlichen Landwirtschafts- und Lebensmittelinspektion (tsch.: „Státní zemědělská a potravinářská inspekce“), den Veterinärämtern und Bezirkshygienestationen oder subsidiär der Tschechischen Handelsinspektion (tsch.: „Česká Obchodní inspekce“) – überprüft und geahndet werden. Wahrscheinlich kommt es hier zu den üblichen bürokratischen Kompetenzchaos der tschechischen Behörden.

Die Novelle ist wegen ihres Sinns und Zwecks äußerst umstritten. Sie verstößt nicht nur gegen den gesunden Menschenverstand und die Rechte der Verbraucher, sondern – trotz ihrer Überfülle an Verweise auf europäische Richtlinien und Verordnungen – auch gegen das europäische Recht, und zwar gegen Art. 34 und 49 AEUV, d.h. die Grundprinzipien des Binnenmarktes und der Niederlassungsfreiheit, die die Rechte von Importeuren und Unternehmern garantieren. Bei den Quoten handelt es sich um sog. mengenmäßige Beschränkungen gleicher Wirkung, die auch nicht nach Art. 36 und Art. 51 ff. AEUV gerechtfertigt werden können. Mit diesen Quoten ist der Import in die Tschechische Republik indirekt betroffen, denn diese bedrohen die Existenz von Gesellschaften in der Tschechischen Republik, die sich mit einem solchen Geschäft beschäftigen. Zwar ist streng genommen ein Import von Waren mengenmäßig weiterhin nicht beschränkt, aber wenn in den Geschäften mit einer Fläche von mehr als 400 m2 in einem gewissen Bereich, hier Lebensmittel und Agrarprodukte, ausländische Produkte nur noch zu 45 % ab 2022 und nur noch zu 27 % ab 2028 feilgeboten werden dürfen, liegt damit eine Beschränkung vor, die quasi als Einfuhrverbot wirkt. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH eine Beschränkung gleicher Wirkung – und damit verboten. Ganz abgesehen davon würden ständig Kontrollen drohen, in welchem Umfang tschechische Waren angeboten werden. Es würde ständig die Gefahr einer Auferlegung von Bußgeldern drohen. Bei vielen Produkten ist auch die Herkunft nicht einfach zu bestimmen, z.B. wenn aus polnischer Milch und ungarischen Erdbeeren in der Tschechischen Republik Joghurt hergestellt wird.

Zusätzlich hat die Tschechische Republik es offenbar unterlassen, für diese Novelle eine Anzeige nach der Transparenzrichtlinie im Binnenmarkt bei der Europäischen Kommission einzureichen, was das Gesetz auch schon als Entwurf vor tschechischen Gerichten angreifbar macht.

Mit dieser Novelle betreibt die Tschechische Republik einen Binnenmarktnationalismus, der gar nicht zu dem passt, was sie noch 2009 als Motto ihrer EU-Präsidentschaft verkündete: „Europa ohne Grenzen“ (tsch.: „Evropa bez bariér“).

Quelle:
Novelle des Lebensmittel- und Tabakgesetzes (Gesetz Nr. 110/1997)
Drucksache Nr. 502 des Tschechischen Parlaments

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