Richtungswende bei der Beurteilung von Dienstreisen innerhalb der EU

Wird die Praxis der Mitgliedsstaaten im Lichte der geänderten deutschen Haltung vereinheitlicht oder weiter gespalten?

Entsendet ein Arbeitgeber mit Sitz in einem Mitgliedsstaat seinen Arbeitnehmer zur Arbeitsverrichtung (Dienstreise, Schulung oder Schulung bei der Muttergesellschaft) in einen anderen Mitgliedsstaat, dann sprechen wir über Entsendung ins Ausland.

Im Rahmen der Entsendung bleibt der Arbeitnehmer im Sozialversicherungssystem des Entsendestaates versichert. Im Aufnahmestaat entsteht keine Parallelversicherung und müssen auch keine Beiträge entrichtet werden. Als Beleg hierfür dient das sog. Entsendeformular A1, auszustellen auf entsprechenden Antrag, vor der Reise durch die zuständige Stelle des Entsendestaates. Die entsprechende Verordnung verwendet die Formulierung „möglichst im Voraus“ und lässt Raum zur Auslegung durch die Mitgliedsstaaten. Auch Ausnahmen sind nicht genannt, bei denen von der Antragstellung im Voraus abgesehen werden könnte.

Bei häufig ins Ausland reisenden Arbeitnehmern, bzw. bei dringenden, nicht absehbaren Geschäftsreisen stellt sich die Frage, ob es zweckmäßig ist, die Beantragung im Voraus vorzuschreiben. Dies auch im Lichte des Ziels der Verordnung, die zwischenstaatlichen administrativen Hürden abzubauen.

Die Mitgliedsstaaten legen die in Frage stehende Anforderung abweichend aus. Frankreich und Österreich vertreten einen strikten Standpunkt und verfechten die Auslegung von „möglichst“ als „immer“ durch Sanktionen in ihrem nationalen Recht (administrative Bußgelder).

Deutschland hingegen vertritt seit neuem einen entgegengesetzten Standpunkt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) untersuchte die Frage. In seinem im Juni 2019 veröffentlichten Leitfaden wird festgelegt, dass bei nicht absehbaren, jedoch nicht aufschiebbaren, dringenden sowie bei kurzen Geschäftsreisen, von einer Dauer von nicht mehr als eine Woche die im Voraus erfolgende Beantragung der Bescheinigung (und auch die Sanktionierung dessen Unterbleibens) nicht als zweckmäßig angesehen wird. Anstatt dessen wird es als ausreichend angesehen, wenn der Antrag und die Vorlage nur bei Bedarf (also bei behördlicher Kontrolle), nachträglich erfolgt.

Der Leitfaden des BMAS ist nicht rechtlich verbindlich und in Bezug auf andere Mitgliedsstaaten nicht relevant. Für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts werden aber dadurch zwei unterschiedliche Wege vorgezeigt, was die Frage der Erforderlichkeit der Klärung auf Gemeinschaftsebene nach sich zieht.

Quelle: Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I);

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit;

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit;

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Handhabung der Bescheinigung A 1 bei kurzfristig anberaumten und kurzzeitigen Tätigkeiten im EU-Ausland, den EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen sowie der Schweiz

 

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