Litauen: Workation innerhalb der EU vs. Sozialversicherung – Es wird komplex

Während die Behörden in Zeiten der Corona-Pandemie meist ein Auge zudrückten und nicht überprüften, ob alle formalen Kriterien für die Einführung von Remote Work durch die Arbeitgeber auch wirklich eingehalten wurden, befürchten Arbeitgeber nun zu Recht, dass diese Gnadenfrist allmählich zu Ende geht.

Nach zwei Jahren COVID19-Pandemie kehrt der Arbeitsalltag allmählich zur Normalität zurück. Eine „Errungenschaft“ der Pandemie scheint jedoch auch in Zukunft eine wesentliche Rolle zu spielen: Die Arbeit von überall auf Initiative des Arbeitnehmers (sog. Workation).

Arbeits-, Datenschutz- und vor allem sozialversicherungsrechtliche Aspekte sind zu beachten, und Arbeitgeber sollten prüfen, ob ihre internen Prozesse und Dokumente wirklich auf dem neuesten Stand sind.

Vor allem ein Thema macht die Angelegenheit für Arbeitgeber ungemein komplex: Wo und wie ist der Arbeitnehmer sozialversicherungspflichtig, wenn er aus dem Ausland heraus auf eigene Initiative arbeitet und wie und wo ergeben sich daraus Melde- und Zahlungspflichten für den Arbeitgeber.

Entscheidend für grenzüberschreitende Sozialversicherungsfälle innerhalb der EU ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Sie regelt, welches Sozialversicherungsrecht für den Arbeitnehmer gilt, wenn er z. B. in einem EU-Land arbeitet, aber in einem anderen lebt.

Es gibt zwei Grundsätze:
1. ein Arbeitnehmer, auf den die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Anwendung findet, unterliegt nur den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates und
2. ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates

Das heißt, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitsort in einen anderen Mitgliedstaat wechselt, ändert sich auch sofort die Sozialversicherung. Es gibt mehrere Ausnahmen, um zu verhindern, dass z.B. Dienstreisen ins Ausland dazu führen, dass der Arbeitnehmer sofort einem neuen und für ihn unbekannten Sozialversicherungsrecht unterliegt:

1. Entsendung (d.h. vorübergehende Arbeit im Ausland auf Initiative des Arbeitgebers) gemäß Art. 12 (1) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004
2. Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten gemäß Art. 13 (1) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004

In beiden Fällen bleibt der Arbeitnehmer während seines vorübergehenden Auslandsaufenthalts in dem Land versichert, in dem er gewöhnlich arbeitet. Um jedoch im Zielland nachweisen zu können, dass er in seinem Heimatland versichert ist, muss er im Heimatland eine so genannte A1-Bescheinigung erhalten.

Im Falle der Workation wird es hier kompliziert. Dies wird deutlich, wenn man die Rechtslage in Deutschland und Litauen vergleicht. In beiden Ländern gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004.
Unstrittig ist, dass für eine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Arbeitsortes, also auch im Falle der Workation, eine A1-Bescheinigung eingeholt werden muss.

Die A1-Bescheinigung dient in erster Linie dazu, im Zielmitgliedstaat nachzuweisen, dass der Arbeitnehmer im Heimatland versichert ist und daher im Zielmitgliedstaat keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen muss. Zum anderen könnte ohne eine A1-Bescheinigung und die damit einhergehende Informierung der heimischen Sozialversicherung über die Tätigkeit im Ausland die Sozialversicherung des Heimatlandes im schlimmsten Fall die Zahlung verweigern, sollte es z.B. zu einem Arbeitsunfall im Ausland kommen.

Fraglich ist jedoch, auf welcher der oben genannten Rechtsgrundlagen diese A1-Bescheinigung eingeholt werden muss und welche Regeln dann gelten.

Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004, die lange vor Corona eingeführt wurde, sieht die relativ neue Situation der Workation natürlich noch nicht vor. Daher gibt es in den einzelnen Ländern unterschiedliche Auslegungen der zuständigen Institutionen, welche der oben genannten Ausnahmen für den Fall der Workation gilt. Aufgrund fehlender nationaler gesetzlicher Regelungen könnte sich in Europa vorerst ein Flickenteppich unterschiedlicher Behörden-/Institutionspraktiken entwickeln, obwohl die Rechtsgrundlage identisch ist.

Die Deutsche Verbindungsstelle für Krankenversicherung im Ausland (DVKA) verfolgt einen pragmatischen Ansatz. Demnach handelt es sich bei Workation um eine Entsendung, wenn

• der Arbeitgeber von der Arbeit im Ausland Kenntnis hat und ihr zustimmt,
• der Arbeitgeber die geleistete Arbeit annimmt und vergütet, und
• eine EU-Entsendung bei der zuständigen Stelle beantragt wird.

Die litauische Sozialversicherungsbehörde SODRA hingegen vertritt eine völlig andere Auffassung, wie eine Anfrage von bnt attorneys in CEE ergab. Demnach versteht sie unter Workation nicht die Entsendung, sondern die Ausübung einer Beschäftigung für denselben Arbeitgeber in zwei oder mehr Mitgliedstaaten (Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) i) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004). Begründet wird dies damit, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in einen anderen Mitgliedstaat entsendet, damit dieser dort für ihn arbeitet, sondern die Ausübung der Arbeitsaufgabe in einem anderen Mitgliedstaat allein auf Initiative des Arbeitnehmers geschieht.

Die Folge dieser unterschiedlichen Auffassungen sind unterschiedliche Rahmenbedingungen für Workation:

Während beim deutschen Ansatz die Entsendung zeitlich begrenzt ist (grundsätzlich max. 24 Monate), ist für die Regelungen des litauischen Ansatzes, d.h. Beschäftigung für denselben Arbeitgeber in verschiedenen Mitgliedsstaaten, das Verhältnis der verschiedenen Beschäftigungen in den verschiedenen Mitgliedsstaaten zueinander entscheidend.

Da aber sowohl der deutsche als auch der litauische Ansatz keine gesetzlichen Regelungen sind, sondern eine mehr oder weniger unverbindliche Sichtweise der zuständigen Behörden/Institutionen in den verschiedenen Mitgliedstaaten darstellen und diese bei ihrer Beurteilung immer auf die Umstände des Einzelfalls Bezug nehmen können, empfiehlt es sich, die Workation im eigenen Unternehmen immer in enger Abstimmung mit der die A1-Bescheinigung ausstellenden Institution (in Litauen SODRA, in Deutschland die Krankenkassen) durchzuführen und deren Beurteilung des Einzelfalls einzuholen, bevor man Mitarbeiter auf Workation ins Ausland lässt.

Quelle:

Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit

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