Litauen: Urteil in EuGH-Rechtssache C-354/21 birgt Sprengstoff

Deutschland muss seine Praxis zur Ausstellung des Europäischen Nachlasszeugnisses ändern. Deutsche Nachlassgerichte müssen die Immobilie aufführen.

Am 9. März 2023 wurde das Urteil in der Rechtssache C-354/21 (R.J.R., Registrų centras) veröffentlicht und stellt nebenbei die deutsche Erbrechtspraxis auf den Kopf.

Da der vor dem EuGH verhandelte Konflikt in ähnlicher Form auch in anderen CEE-Ländern (u.a. in Tschechien, lesen Sie weiter hier) besteht, hat die Entscheidung des EuGH grundlegenden Charakter für das europäische Erbrecht und zahlreiche ungelöste Erbverfahren in Europa könnten endlich zum Abschluss gebracht werden.

Das von bnt vorangetriebene Verfahren umfasste einen Erbfall nach deutschem Recht, wobei Erbgegenstand eine Immobilie in Litauen ist. Rechtliche Basis hierfür ist die Verordnung Nr. 650/2012 (EuErbVO). Diese sollte grenzüberschreitende Erbfälle eigentlich vereinfachen, indem das Erbverfahren nur noch in einem einzigen Mitgliedsstaat durchgeführt wird. Deutsche Erbfälle, die in Litauen belegene Immobilien betreffen, führten bisher jedoch zu zahlreichen ungelösten Konflikten.

Im zugrundeliegenden Verfahren wurde das Erbverfahren richtigerweise lediglich in Deutschland durchgeführt, weil der Erblasser hier zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Obwohl der Nachlass auch eine in Litauen belegene Immobilie umfasste, konnte nach der EuErbVO kein zweites Erbverfahren in Litauen eröffnet werden. Die litauische Immobilie wurde ebenfalls Bestandteil des deutschen Erbverfahrens. Allerdings hat gemäß Art. 1 (2) lit. l) der EuErbVO die Eintragung des Eigentümerwechsels im litauischen Grundbuch und nach litauischem Recht zu erfolgen.

Damit der Erbe dem Grundbuchamt hierfür seinen Status nachweisen kann, führte Art. 62 (1) EuErbVO das Europäische Nachlasszeugnis ein, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und in diesem als Nachweis der Rechtsnachfolge Wirkung entfaltet. Es handelt sich dabei gewissermaßen um einen Europäischen Erbschein.
Das litauische Grundbuchamt verlangte gemäß Art. 23 (4) des Gesetzes über das Immobilienregister der Republik Litauen bisher allerdings zwingend den Ausweis der konkreten Immobilie im Zeugnis, welcher diese eindeutig identifizierbar macht. Im Einzelnen verlangt es die Angabe der Adresse sowie der sogenannten Unikalus-Nr. (einmalige Nummer der Immobilie). Ohne diese Angaben verweigert das Grundbuchamt bisher jegliche Eintragung.

Hierbei bestand ein bisher ungelöster Konflikt zwischen deutschem Erbrecht und litauischem Grundbuchrecht. Grund war die Praxis deutscher Nachlassgerichte, die (wie beim deutschen Erbschein) nicht die Immobilie in das Europäische Nachlasszeugnis eintragen, sondern lediglich die Erbenquote. Eine Angabe der Immobilie, wie sie das litauische Grundbuchrecht forderte, erfolgt auf diese Weise nicht. Eine Eintragung des Eigentümerwechsels ohne Angabe der Immobilie im Nachlasszeugnis war nicht möglich.

Im vorliegenden Fall wurde der Konflikt auf die Spitze getrieben, da der Erbe Alleinerbe war. Obwohl offensichtlich war, dass er 100% des Nachlasses erbt, was die Immobilie logischerweise miteinschließt, ließ sich das deutsche Nachlassgericht nicht überzeugen, die Immobilie in das Nachlasszeugnis einzutragen. Und auch das litauische Grundbuchamt verweigerte die Umschreibung der Immobilie. Eine Eintragung des Eigentümerwechsels ohne Angabe der Immobilie im Nachlasszeugnis in Litauen war damit nicht möglich.

Der EuGH urteilte überraschend entgegen dem Schlussantrag des Generalanwalts (https://bnt.eu/de/uncategorized/lithuania-advocate-generals-opinion-in-ecj-case-c-354-21-published/), dass das litauische Grundbuchamt die Eintragung der Änderung im Immobilienregister zurecht verweigern könne, wenn die Immobilie nicht konkret im Nachlasszeugnis benannt wird. Litauen habe das Recht, festzulegen, welche Angaben es für die Eintragung benötigt. Hintergrund ist, dass die Katasterregeln nicht in der EuErbVO geregelt sind, d.h. in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verblieben. Deshalb können die Regeln so angewandt werden, wie sie z.B. jetzt in Litauen oder der Tschechischen Republik gelten: Grundstücke müssen bezeichnet werden.

Der EuGH hob indes noch einmal ausdrücklich hervor, dass das deutsche Nachlassgericht verpflichtet sei, für das Nachlasszeugnis das Formblatt V aus der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 zu nutzen, ergo auch, wie darin vorgesehen (Formblatt V, Anlage IV, Punkt 9), die Immobilie im Nachlasszeugnis anzugeben. Die deutsche Rechtsprechung hatte dies bisher als nicht vereinbar mit deutschem Erbrecht angesehen (OLG München, Beschluss v. 12.09.2017 – 31 Wx 275/17). Die bisherige Weigerung deutscher Nachlassgerichte, Grundstücke in das Europäische Nachlasszeugnis einzutragen, ist EU-rechtswidrig, wenn klar ist, dass das Europäische Nachlasszeugnis im Zielland ohne diese Angaben nicht wirksam geltend gemacht werden kann.

Das Urteil könnte nun ebenfalls zu der Pflicht des deutschen Nachlassgerichts führen, zu prüfen, ob der fragliche Vermögensgegenstand von der Rechtsfolge von Todes wegen erfasst ist, d.h. dem Erblasser gehörte.

Wie Deutschland dies umsetzen soll, ohne dass das Nachlassgericht selbst Zugang zum litauischen Grundbuch hat und ohne tiefgreifende Kenntnisse des litauischen Immobilienrechts zu haben, ließ der EuGH offen.

Quelle:

EuGH, Urteil vom 9. März 2023, R. J. R. gegen Registrų centras VĮ, C‑354/21, ECLI:EU:C:2023:184

Newsletter abonnieren

Wenn Sie den Newsletter abonnieren, stimmen Sie zugleich unseren Datenschutzbedingungen zu.