Erbengemeinschaften und Europäische Nachlasszeugnisse (ENZ): neue Anwendungsprobleme der EuErbVO (EU Nr. 650/2012); Rechtsbeschwerde beim BGH zur Frage der Eintragung von Grundstücken ins ENZ

Bei der Anwendung der Europäischen Erbverordnung (EuErbVO, EU Nr. 650/2012) kommt es immer noch zu Anwendungsproblemen: zuletzt entstand bei tschechischen Katasterämtern die Frage, ob alle Erben einer Erbengemeinschaft das ENZ geltendmachen müssen, oder ob dies auch nur einige Erben können.

Bei der Anwendung der Europäischen Erbverordnung (EuErbVO, EU Nr. 650/2012) kommt es immer noch zu Anwendungsproblemen: zuletzt entstand bei tschechischen Katasterämtern die Frage, ob alle Erben einer Erbengemeinschaft das ENZ geltendmachen müssen, oder ob dies auch nur einige Erben können.

Desweiteren liegt nach der Entscheidung des EuGH vom 9.3.2023 (C-354/21) (dazu hier: https://bnt.eu/de/enz-in-der-deutschen-und-tschechischen-praxis-praktische-folgen-der-entscheidung-des-eugh-c-354/21-vom-932023/) eine Rechtsbeschwerde beim BGH vor (AZ: IV ZB 41/23), die einen Fall von bnt betrifft, ob deutsche Gerichte tschechische Immobilien in ein deutsches ENZ eintragen müssen. Die Frage der Zuständigkeit der Gerichte beim Heimgang von Heimbewohnern, die schon im Stadium der Demenz in die Tschechische Republik gezogen sind, wird derzeit in einem Verfahren vor dem Bezirksgericht in Aussig an der Elbe verhandelt (AZ: 84 Co 55/2024). Schließlich ist nach Meinung der Leitung der tschechischen Katasterämter (ČUZK) neben einem ENZ in der Tschechischen Republik auch weiterhin der deutsche Erbschein anwendbar. Allerdings müsste auch ein ENZ im Inland anwendbar sein, d.h. ein deutsches in Deutschland und ein tschechisches ENZ in der Tschechischen Republik.

1. Geltendmachung von ENZ nur von einigen Erben

In Erbengemeinschaften kommt es häufig zu Streit; deswegen ist der Fall nicht ungewöhnlich, dass nur einige Erben die Rechte aus einem ENZ geltendmachen wollen. In einem Fall von bnt haben nur drei Erben (von vier) die Umschreibung von in Strakonice beim Katasteramt in Strakonice beantragt, über die ein ENZ vorlag. Allerdings war, wie bei ENZ aus Bayern üblich, die Immobilie nicht in dem hier vorliegenden Teil-ENZ (für drei von vier Erben) eingetragen. Letzteres Problem konnte umgangen werden durch sog. Erklärungen der Erben über deren Erbe nach der tschechischen Katasterverordnung (cf. unten unter 2), aber das Katasteramt versagte die Eintragung mit der Begründung, es hätten nicht alle, d.h. nur drei von vier Erben die Eintragung verlangt. Die Hauptleitung der tschechischen Katasterämter (ČUZK) hat in einem Bescheid klargestellt, dass dies falsch war: zwar ist es nicht wünschenswert, dass nur einige Erben die Eintragung geltendmachen, aber das Katasteramt kann den Antrag von nicht allen Erben nicht mit der Begründung versagen, es müssten alle Erben den Umschreibungsantrag stellen.

2. Eintragung von tschechischen Immobilien im deutschen ENZ – Rechtsbeschwerde beim BGH, ggf. beim EuGH als Vorabentscheidungsverfahren

In einem anderen Fall von bnt ist durch eine Rechtsbeschwerde dem BGH (AZ: IV ZB 41/23) die Frage vorgelegt worden, ob deutsche Gerichte tschechische Immobilien in ein ENZ eintragen können oder sogar müssen. Die Entscheidung des EuGH vom 9.3.2023 (C-354/21), die litauisches Recht und ein litauisches Grundstück betraf, ist dazu nicht eindeutig; klar ist aber, dass ohne einen Eintrag von Immobilien in der Anlage IV des ENZ unter Punkt 9 die Immobilien in der Tschechischen Republik nicht umgeschrieben werden können (im vorliegenden Fall war schon die Erbin verstorben, konnte also keine Erklärung nach der tschechischen Katasterverordnung mehr abgeben). Die Frage ist in Deutschland umstritten, bayerische OLG lehnen die Eintragung von irgendwelchen Gegenständen, Bankkonten etc. ab, viele Amtsgerichte in Hessen, NRW, Niedersachsen und Berlin nehmen sie vor. Die Rechtseinheit ist in Deutschland nicht mehr gegeben. Weil dies aber eine Auslegung der EuErbVO ist, müsste die Frage eigentlich vom BGH an den EuGH nach Art. 267 AUEV vorgelegt werden.

3. Negativer Kompetenzkonflikt bei Tod in Altersheimen

Wie bereits berichtet (hier: https://bnt.eu/de/tschechien-tschechien-der-intraeuropaische-demenztourismus-als-problemfall-unter-der-euerbvo-nr-650/2012/), gibt es in einer Fallgruppe bei der internationalen örtlichen Zuständigkeit einen sog. „negativen Kompetenzkonflikt“: beim Tod von z.B. deutschen Alzheimerpatienten in tschechischen Pflegeeinrichtungen verneinen die tschechischen Gerichte ihre Zuständigkeit zur Eröffnung von Erbverfahren. Die dementen Bewohner hätten keinen subjektiven Willen gehabt, in der Tschechischen Republik einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ im Sinne von Art. 4 EuErbVO zu errichten. Weil dieselben aber aus Deutschland teilweise schon jahrelang verzogen waren, lehnen auch deutsche Gerichte die internationalrechtliche Zuständigkeit für die Eröffnung von Erbverfahren ab. Einen Fall hat bnt jetzt zum Bezirksgericht in Aussig an der Elbe (Krajský soud Ústí nad Labem) gebracht (AZ: 84 Co 55/2024). Im Prinzip geht es um die Frage, ob der „gewöhnliche Aufenthalt“ im Sinne von Art. 4 EuErbVO nur faktisch ist, oder ob er auch ein subjektives Element hat. Auch diese Frage müsste eigentlich dem EuGH vorgelegt werden, weil es um die Auslegung von Art. 4 EuErbVO geht. Das Berufungsverfahren ist erst im Februar 2024 eröffnet worden.

4. Anwendungen von (deutschen) Erbscheinen vor (tschechischen) Katasterämtern

Nach Meinung der Leitung der tschechischen Katasterämter (ČUZK) ist neben einem deutschen ENZ in der Tschechischen Republik auch der deutsche Erbschein anwendbar. Dies ergebe sich aus Art. 39 EuErbVO, dass nämlich „die in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen … in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt (werden), ohne dass es dazu eines besonderen Verfahrens bedarf“. Das würde bedeuten: kein Anerkenntnisverfahren, keine Apostille (Art. 74 ErbEuVO), aber eine amtliche beglaubigte Übersetzung des deutschen Erbscheins, und bei einem tschechischen Katasteramt kann dieser vorgelegt werden. Allerdings wohl nur mit der Erklärung des Erben nach der Katasterverordnung, die die konkreten Immobilien bezeichnet, denn diese erhält ein deutscher Erbschein nicht (bei Geschäftsanteilen von tschechischen Gesellschaften könnte auch der deutsche Erbschein reichen). Dass der deutsche Erbschein auch im Ausland verwendbar ist, ist wohl richtig, denn nach Art. 62 Abs. 3 EuErbVO tritt das ENZ „nicht an die Stelle der innerstaatlichen Schriftstücke, die in den Mitgliedsstaaten zu ähnlichen Zwecken verwandt werden“. Dies wird auch von der Vorbemerkung 69 der EuErbVO bestätigt, dass nämlich „die Verwendung des ENZ … nicht verpflichtend sein (sollte). … Eine Behörde …, der ein in einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Zeugnis vorgelegt wird, sollte jedoch nicht verlangen können, dass statt des ENZ eine Entscheidung, eine öffentliche Urkunde oder ein gerichtlicher Vergleich vorgelegt wird.“ Dies bedeutet: es kann hier zu Alternativen kommen, z.B. wenn ein Erbschein schon ausgestellt war, aber erst danach tschechische Grundstücke auftauchen, dann reicht die Übersetzung des Erbscheins und die Erstellung einer Erklärung.

Aber auch im Inland, d.h. in der Tschechischen Republik, kann ein ENZ vorgelegt werden. Dies ist dann bedeutsam für Fälle, in denen das inländische Recht nicht die Wirkungen kennt, die die EuErbVO kennt, z.B. den Erwerb von nichtberechtigten, d.h. vom nichteingetragenen Erben. Mit einem ENZ könnte ein nichteingetragener Erbe eine Immobilie an einen gutgläubigen Dritten veräußern und übertragen, der diese Immobilie aufgrund von Art. 69 Abs. 4 EuErbVO vom nichteingetragenen Erben erwerben kann. Denn diese Möglichkeit sieht das tschechische BGB (Gesetz 89/2012 Slg.) bei der Vorlage einer sog. Entscheidung über ein Erbe nicht vor. Allerdings kommt es meist bei der Fassung einer solchen tschechischen Entscheidung automatisch zur Eintragung eines Erben, aber u.U. ist diese Funktion des ENZ in anderen Ländern durchaus relevant. Bei der Vorlage eines ausländischen ENZ – Vorsicht: die Geltungsdauer von ENZ sind in der Regel sechs Monate, sie können aber auch für ein Jahr ausgestellt und jederzeit verlängert werden – können tschechische Immobilien direkt an dritte Interessenten verkauft werden, ohne dass sie vorher auf den Erben im tschechischen Immobilienkataster eingetragen worden wären.

Über die Entwicklung in diesen Fragen wird bnt an dieser Stelle weiter informieren.

Newsletter abonnieren

Wenn Sie den Newsletter abonnieren, stimmen Sie zugleich unseren Datenschutzbedingungen zu.