Aufhebung des Altonaer Schwurgerichtsurteils vom 7. November 1935 gegen einen staatenlosen Juden wegen „versuchter Rasseschande“ nach genau 88 Jahren!!

Bezüglich eines historischen Unrechtsurteils in einem ungewöhnlichen Fall hat RA Dr. Stephan Heidenhain vom bnt Standort Prag für eine Mandantin aus Buenos Aires (Argentinien) nach genau 88 Jahren die Aufhebung eines Schwurgerichtsurteils des Landgerichts Altona (heute Hamburg-Altona) vom 7. November 1935 wegen „versuchter Rasseschande“ gegen deren Großvater Leo Smechow erreicht. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat die Aufhebung am 7. November 2023 bestätigt.

Bezüglich eines historischen Unrechtsurteils in einem ungewöhnlichen Fall hat RA Dr. Stephan Heidenhain vom bnt Standort Prag für eine Mandantin aus Buenos Aires (Argentinien) nach genau 88 Jahren die Aufhebung eines Schwurgerichtsurteils des Landgerichts Altona (heute Hamburg-Altona) vom 7. November 1935 wegen „versuchter Rasseschande“ gegen deren Großvater Leo Smechow erreicht. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat die Aufhebung am 7. November 2023 bestätigt. Unentschieden ist der Antrag der argentinischen Enkelin und ihres Sohnes, ob für sie, auch wegen dieses Unrechts, ein Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit besteht.

Bei der Verurteilung vor 88 Jahren ging es in einem damals im Deutschen Reich („Berliner Tagblatt“ und „Frankfurter Zeitung“ vom 8. November 1935), aber auch im Ausland Aufsehen erregenden (cf. den Bericht der „Jewish Telegraphic Agency“ vom 11. November 1935), mittlerweile aber wohl vergessenen Strafprozess vor dem Altonaer Schwurgericht gegen den „Kaufmann … Handelsverteter für Wein“ Leo Smechow, „mosaisch“, Jahrgang 1912, einen staatenlosen Juden ehemals polnischer Staatsangehörigkeit (die polnischen Behörden hatten ihn kurz vorher ausgebürgert). Leo Smechow wurde beschuldigt, versucht zu haben, am 8. Oktober 1935 im Gebiet des Hamburger Hafens eine verheiratete Kölner Funktionärin der BDM-Organisation der NSdAP – „die Zeugin Hilde Häbermann, geb. Kohl, …Arierin“ – vergewaltigt zu haben, damals strafbar gemäß § 176 oder § 177 RStGB (1871) als „schwere Unzucht“ oder „Notzucht“. Dieselbe Tat war möglicherweise auch strafbar als sog. „Rassenschande“ nach den Nürnberger Gesetzen, d.h. dem sog. „Gesetz zum Schutz vom Deutschen Blut und der Deutschen Ehre“ (§§ 2, 5 Abs. 3), das als eines der drei Nürnberger Gesetze kurz vorher am 17. September 1935 in Kraft getreten war.

Fraglich war allerdings, ob auch der Versuch der Rassenschande strafbar war, und außerdem war unklar, ob Ausländer oder Staatenlose jüdischen Glaubens (im Sinne der Nürnberger Gesetze) auch Täter sein konnten. Dass Leo Smechow, geboren in Kolno in Polen, seit 1913 im Deutschen Reich wohnhaft, zunächst in Halberstadt, dann in Hamburg, verstorben hochbetagt im Jahre 2004 in Israel, Jude war, war unstrittig, aber er war eben kein Deutscher Reichsbürger – das konnte er nach den Nürnberger Gesetzen auch nicht mehr sein; vielmehr war er zum Zeitpunkt der Tat staatenlos, weil die polnischen Behörden ihn aus der polnischen Staatsangehörigkeit entlassen hatten. Er wurde von der Schwurgerichtskammer des LG Altona (Besetzung des Senats: AGRat Tüxen (Vors.), LGRat Hall, AGRat Dr. Hartz) wegen „versuchter Rasseschande“ zu neun Monaten Haft verurteilt. Das war im Prinzip recht mild. Leo Smechow saß seine neunmonatige Strafe in Hamburg ab und konnte Ende 1936 nach Uruguay mit seiner Frau emigrieren, später kam er nach Argentinien.

Erst seit dem Jahre 2000, als das sog. NS-Aufhebungsgesetz in Kraft trat, sind Strafurteile, die u.a. nach den Nürnberger Gesetzen ergangen sind, aufgehoben oder können auf Antrag aufgehoben werden, weil diese automatisch als nationalsozialistische Unrechtsurteile gelten. Die Aufhebung kann auch auf Antrag bestätigt werden. Dieses Verfahren wurde auf Betreiben von bnt für die Nachkommen von Leo Smechow erfolgreich am 7. November 2023 abgeschlossen. Deswegen ist Leo Smechow nach genau 88 Jahren rehabilitiert.

Gleichzeitig läuft ein Antrag auf Erteilung der deutschen Staatsangehörigkeit beim BVA (Bundesverwaltungsamt) in Köln, den die Enkelin und der Urenkel von Leo Smechow im März 2023 gestellt haben, gemäß § 15 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). bnt vertritt die Antragsteller auch in diesem Verfahren. Gemäß § 15 Satz 1 Nr. 4 StAG – § 15 StAG war, neben einem neuen § 5 StAG, am 21. August 2021 in Kraft getreten – können Emigranten, die ab dem 30.1.1933 aus dem Deutschen Reich emigriert waren, und alle deren Abkömmlinge die deutsche Staatsangehörigkeit als Wiedergutmachungseinbürgerung beantragen, wenn sie wegen Verfolgungsmaßnahmen aus den in Art. 116 Abs. 2 GG genannten „rassischen und politischen“ Gründen „Deutschland“ verlassen hatten (ehemalige deutsche Staatsbürger fallen unter Art. 116 Abs. 2 GG, denn diese wurden meist am 27. November 1941 staatenlos, wenn sie zu diesem Datum außerhalb der Grenzen des „Großdeutschen Reichs“ dauerhaft lebten). Bei Juden werden diese Gründe vermutet, Leo Smechow´s Fall ist besonders, weil er wirklich verfolgt wurde. Da er aus Hamburg kam (und z.B. nicht Danzig, Memel, dem Sudetenland, Prag oder Wien – hier ist § 15 Nr. 4 StAG nicht eindeutig), ist er auch aus „Deutschland“ emigriert. Die Anträge der Enkelin und des Urenkels von Leo Smechow auf Einbürgerung sind aber noch nicht beschieden – leider sind die Bearbeitungszeiten beim Bundesverwaltungsamt in Köln gegenwärtig auf bis zu 6 (in Worten: sechs) Jahre angestiegen, weil mittlerweile fast 20000 Anträge nach § 15 StAG gestellt wurden. bnt vertritt Dutzende von Antragstellern, auch aus Danzig, Memel, Prag und sogar Rumänien und Ost-Galizien, und hofft, dass der Antrag der Familie Smechow früher als im Jahre 2029 entschieden werden wird – die Wiedergutmachung für all das Unglück, was Leo Smechow getroffen hatte, muss zügig erfolgen.

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