Neues zur EU-Einwanderungspolitik

Der EuGH hat am 20. Januar 2022 (Rechtssache C-432/20) sich in einem Vorabentscheidungsverfahren mit einer strittigen Frage des Verlustes der Aufenthaltsberechtigung im Zusammenhang mit der Aufenthaltsdauer im Gemeinschaftsgebiet auseinandergesetzt.

Der Ausgangsfall wurde vom Verwaltungsgerichtshof Wien dem EuGH vorgelegt, als einem kasachischen Staatsangehörigen, also einem Drittstaatsangehörigen, mit dem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ die Verlängerung vom Landeshauptmann Wien verweigert wurde. Der abweisende Bescheid wurde mit der Nichterfüllung der Voraussetzung begründet, sich zwölf aufeinander folgende Monate ununterbrochen im Gebiet des Mitgliedstaates aufzuhalten. Zum Zeitpunkt der Antragstellung verfügte der Beschwerdeführer sowohl über den österreichischen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ als auch über einen britischen Aufenthaltstitel, wollte aber mit seiner Familie (vier minderjährige Kinder) wieder in Österreich sein. Den Aussagen des Beschwerdeführers während der mündlichen Verhandlung zufolge habe er sich zwar nie länger als zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb Österreichs aufgehalten, tatsächlich habe er dort lediglich wenige Tage pro Jahr verbracht. Die essenziellen Fragen, mit denen sich das Gericht auseinandersetzen musste, lagen daher in der richtigen Auslegung der Richtlinie 2003/109/EG, insbesondere des Art. 9 Abs. 1 lit. c), der diese Frage nicht näher regelt. Reicht jeder physische Aufenthalt von beliebiger Länge innerhalb eines Jahres aus, um den Lauf dieser Frist zu unterbrechen? Wenn die erste Frage verneint wird, welchen qualitativen sowie quantitativen Anforderungen muss der Aufenthalt entsprechen? Ist der gewöhnliche Aufenthalt, d.h. der Mittelpunkt der Lebensinteressen, unentbehrlich für die Bewertung des Aufenthalts? Stehen die Rechtsordnungen derjenigen Mitgliedstaaten, die die Verlängerung vom Bestehen des Mittelpunkts der Lebensinteressen und des gewöhnlichen Aufenthalts anknüpfen, im Widerspruch zum Unionsrecht?

Der EuGH hat sein Urteil zugunsten des Beschwerdeführers gefällt und sie mit folgenden Erwägungen bekräftigt: erstens sollte der Wortlaut des Art 9 Abs. 1 lit. c) der RL 2003/109/EG eng ausgelegt werden, jede physische Anwesenheit im Unionsgebiet sollte daher den Verlust der Rechtsstellung verhindern und die Frist der relevanten 12-monatigen Abwesenheit unterbrechen. Zweitens zieht der Gerichtshof einen Vergleich zwischen Art 4 und Art 9 der RL 2003/109/EG und hebt hervor, dass bei einem Erstantrag auf Verleihung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten gemäß Art 4 der RL 2003/109/EG der rechtmäßigen und ununterbrochenen 5-jährigen Dauer eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Art 9 der RL 2003/109/EG lege jedoch nur fest, dass der Verlust im Fall einer tatsächlichen 12 Monate dauernden Abwesenheit eintreten sollte. Seinen letzten Begründungspunkt stützt der EuGH auf die Erwägungsgründe der RL 2003/109/EG, die eine gewisse Integration von Drittstaatsangehörigen bezweckt. Wer einmal die Voraussetzungen für die Verleihung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erfüllt hat, dürfte sich nach den Grundsätzen der Rechtssicherheit auch in anderen Mitgliedstaaten der Union bewegen und aufhalten, ohne negative Konsequenzen des Verlusts seiner Rechtsstellung zu befürchten.

Dieses Urteil hat auch Auswirkungen auf andere Mitgliedstaaten und deren Praxis, da Urteile des EuGH für alle nationalen Gerichte und Behörden bindend sind; außerdem sollten die Bestimmungen der nationalen Rechtsordnungen unionsrechtskonform ausgelegt werden.

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