Wie gewinnt man einen extrem komplizierten Vergabestreit?

Auch ein gut vorbereitetes Vergabeverfahren schließt einen hochkomplexen Vergabestreit vor der Vergabekammer und dem Gericht nicht aus.

Der Streit um die Auftragsvergabe der estnischen Bahngesellschaft für die Modernisierung des Verkehrsmanagementsystems der West-Harju-Bahnstrecken war eine der kompliziertesten, längsten und tiefgreifendsten Auftragsstreitigkeiten, der je in Estland stattgefunden hat. Man könnte sagen, der Sachverhalt des Streits wurde genauso akribisch ermittelt wie der des Mordes an John F. Kennedy, denn alle denkbaren und undenkbaren Aspekte des erfolgreichen Angebots, einschließlich Compliance, Kosten, Qualifikation und Nicht-Eliminierung, wurden angefochten.
In diesem Fall haben wir erfolgreich den finnischen Bieter Mipro Oy vertreten, dessen Angebot um bis zu 11 Millionen Euro unter dem geschätzten Auftragswert lag. Dank der effizienten Zusammenarbeit mit dem Mandanten haben wir das gewünschte Ergebnis erreicht: Mipro Oy hat den Auftrag erhalten.

Ein lukrativer Auftrag

Beträgt der geschätzte Auftragswert der Ausschreibung 28 Mio. EUR und liegen die meisten Angebote in etwa der gleichen Größenordnung, ist ein Streit vorprogrammiert, wenn das Angebot des Gewinners nur 16,5 Mio. EUR beträgt. Dementsprechend lautete das Hauptargument des Beschwerdeführers, das erfolgreiche Angebot habe einen außergewöhnlich niedrigen Preis.

Außergewöhnlich niedriger Preis

Im vorliegenden Fall war das aber kein stichhaltiges Argument. Der Auftraggeber hatte vor der Entscheidung gründlich recherchiert und war überzeugt, dass das Angebot nicht außergewöhnlich niedrig war. Mipro Oy wies nach, dass man das Angebot sehr sorgfältig kalkuliert hatte. Da die Vergabe eine Lösung betraf, die erst ausgearbeitet und danach ausgeführt werden muss, blieben sowohl die Behauptungen des Beschwerdeführers als auch alle Gutachten unberücksichtigt, die behaupteten, das Angebot und der Preis entsprächen nicht den Bedingungen der Ausschreibung.

Anerkennung ausländischer Abschlüsse

Zusätzlich zur Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen wurde auch die Qualifikation des Anbieters in Frage gestellt. Zunächst nur „für alle Fälle“, nach Erhalt der Qualifikationsunterlagen schon gründlicher. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verfügte ein finnischer Ingenieur im Team des Bieters über keine angemessene Hochschulausbildung, da der Hochschulabschluss des finnischen Ingenieurs aus der Zeit vor der finnischen Bildungsreform in den 90er Jahren stammte. Die estnischen Gerichte stimmten der Auffassung des Auftraggebers und des Bieters zu, dass das ENIC-NARIC-Zertifikat nicht das einzige Dokument ist, das eine Hochschulbildung beweist und dass die in Finnland anerkannte Definition der Hochschulbildung berücksichtigt werden muss.

Interessenkonflikt

Sehr selten wird von dem Obersten Gerichtshof ein Verfahren über einen Vergabestreit um einen Auftrag on-hold eröffnet. Im vorliegenden Fall war jedoch der mögliche Interessenskonflikt für den Obersten Gerichtshof von Interesse. Der Beschwerdeführer hatte nämlich behauptet, eine Person, die vor ca. zwei Jahren den Auftraggeber kurz beraten hatte, mit Mipro Oy in Verbindung stehe und die Ausschreibungskriterien für Mipro Oy vorteilhaft gestaltet habe. Im Urteil des Obersten Gerichtshofs hieß es dann auch, dass jede Wettbewerbsverzerrung zu vermeiden sei und alle Bieter gleich zu behandeln seien. Im Rahmen der neuen Anhörung vor dem Bezirksgericht haben der Auftraggeber und Mipro Oy nach den Vorgaben des Obersten Gerichtshofes bewiesen, dass der Berater die Ausschreibungsunterlagen nicht vorbereitet hatte und dass allen Bietern Chancengleichheit gewährt worden war.

Außergewöhnlich langer vorläufiger Rechtsschutz

Die bisher allgemeingültige Annahme, dass man selbst beim längsten Vergabestreit in 6-8 Monaten zu einem Vertragsabschluss kommt, wurde mit diesem Präzedenzfall widerlegt. Der Streit dauerte insgesamt 10 Monate und obwohl die Beschwerde letztendlich erfolglos blieb, galt das im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erlassene Verbot, den Vertrag abzuschließen, bis das letzte Urteil des Bezirksgerichts vom 28.06.2018 rechtskräftig wurde.

Das Geheimnis des Erfolgs

Das Geheimnis eines erfolgreichen Vergabestreits liegt in einem sorgfältig durchgeführten Vergabeverfahren. Wenn der Auftraggeber bei der Vergabe der Aufträge gründlich ist und der erfolgreiche Bieter sein Angebot sorgfältig vorbereitet, sind die Erfolgsaussichten im Falle eines Streits sehr gut. Zweitens ist natürlich in jeder Streitigkeit die gründliche und dichte Zusammenarbeit zwischen dem Anwalt und dem Mandanten sehr wesentlich; in dieser Sache war sie außerordentlich gut.

 

 

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