Weg frei für umstrittene estnisches Rentenreform

Wahlfreiheit vs. Risiko für estnische Arbeitnehmer

Dem estnischen Rentensystem steht eine Reform bevor. Gegenwärtig setzt es sich aus drei Säulen zusammen. Bei der ersten Säule handelt es sich um die gesetzliche Rente. Hinzu kommt die zweite Säule, bei der es sich um eine kapitalgedeckte Pflichtversicherung handelt. Diese wird finanziert durch zwingende Arbeitnehmerbeiträge i.H.v. 2% des Gehaltes, hinzu kommt eine Sozialsteuer von 4%, die in die zweite Säule anstelle der ersten gezahlt wird. Die dritte Säule ist die freiwillige Zusatzvorsorge.
Das Reformgesetz betrifft die zweite Säule. Dieser Teil der Altersvorsorge wird nunmehr freiwillig.
Die Arbeitnehmer, die Teil dieser Säule waren, können weiterhin in ihr verbleiben und müssen nichts ändern. Die, die dies nicht waren, können nun beitreten. Daneben besteht die Möglichkeit der Übertragung des bisherigen Vermögens der 2. Säule auf ein zu erstellendes eigenes Renteninvestitionskonto ohne Abzug einer Steuer. Die Investitionsentscheidungen trifft nun der Inhaber.
Es kann aber auch die Einzahlung in die Säule gestoppt oder der Betrag abzüglich 20% Einkommenssteuer vollständig abgehoben werden. Der Betrag steht dann zur freien Verfügung. Hiervon planen ca. 20% Gebrauch zu machen. Ein Wiedereintritt ist erst nach zehn Jahren möglich.
Die Reform soll dem Einzelnen eine höhere Kontrolle und Flexibilität für seine Finanzen versprechen. Es wird aber befürchtet, dass dies langfristig zu einer höheren Altersarmut führt. Durch die Möglichkeit vieler gleichzeitiger Abhebung könnten die Fonds an Wert verlieren. Kurzfristig können durch die Besteuerung der Abhebungen höhere Staatseinnahmen generiert werden. Durch die freie Verfügungsmöglichkeit könnte zudem kurzzeitig die Wirtschaft angekurbelt werden.  Arbeitnehmer müssen für sich die Vor- und Nachteile des Ein- und Austritts abwägen.
Für den Fall des Wunsches der Auszahlungen gelten Fristen. Die erste läuft im Zeitraum vom 01. Januar bis 31. März 2021. Die Auszahlung erfolgt jeweils fünf Monate später. Die ersten Auszahlungen erfolgen damit im September.
Auf Antrag der Präsidentin befasste sich zuletzt der estnische Staatsgerichtshof mit dem Gesetz. Im Hinblick auf die Verfassung ging es insbesondere um eine Verletzung der Grundrechte auf Eigentum, Gleichheit, Unternehmensfreiheit sowie auf staatliche Altershilfe. Die Richter erklärten das Reformgesetz nicht für verfassungswidrig. Nach Bekanntgabe der Entscheidung wurde der Gesetzesentwurf von der Präsidentin Kersti Kaljulaid unterschrieben und wird nun in Kraft treten.

 

Quellen:

Riigikohus, Entscheidung vom 20. Oktober 2020, Fallnummer 5-20-3;

Gesetz über Änderungen des Gesetzes über finanzierte Renten und damit verbundene Gesetze (obligatorische Reform der finanzierten Renten)

 

 

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