Prozess im Fall Estonia-Schiffsunglück

Neues Urteil verpflichtet die estnische Regierung zur Stellungnahme.

Am 28. September 2019 jährte sich das Schiffsunglück der MS Estonia zum 25. Mal: 1994 war die Fähre auf ihrem Weg von Tallinn nach Stockholm gesunken und hatte 852 Menschen in den Tod gerissen. Die Ursache des Unglücks war offiziell die stürmische See, die die Scharniere der Bugklappe während der Fahrt brechen liess. Daraufhin strömte Wasser ins Schiff, das um ein Uhr nachts innerhalb einer halben Stunde sank. Nur 137 Menschen an Bord überlebten das Unglück.

Die Ursachen des Unglücks und die Verantwortung dafür sind seitdem Gegenstand von Spekulationen und Verschwörungstheorien. Von Konstruktionsfehlern bis hin zu einer Bombendetonation und geheimen Ladungen russischer Waffen sind immer noch viele Möglichkeiten im Gespräch. Da das Wrack nicht gehoben wurde, wären weitere Untersuchungen nicht ausgeschlossen. Die Überlebenden und Angehörige der Opfer haben in verschiedenen Prozessen Klarheit und Entschädigung gefordert; zuletzt wies ein französisches Gericht eine Klage gegen den Schiffsbauer (die deutsche Meyer Werft) und die französische Prüfgesellschaft Bureau Veritas, die die Fähre als seetüchtig eingestuft hatte, ab. Das Urteil ist rechtskräftig und beendete einen der wesentlichen Prozesse in dem Fall.

Von den estnischen Gerichten ist aber zurzeit immer noch ein Prozess anhängig, in dem Angehörige der Opfer fordern, dass die Republik Estland die Untersuchung wieder aufnehmen soll. Als Begründung werden Unstimmigkeiten in den Untersuchungsergebnissen und Missachtung von wesentlichen Zeugenaussagen angegeben; Mitglieder der Untersuchungskommission haben öffentlich bestätigt, dass solche Grundlagen bestehen. Diese Forderung wurde bereits 2016 dem estnischen Premierminister zugestellt. Die einzige Antwort darauf kam über zwei Jahre später aus dem Justizministerium; darin wird festgestellt, dass das Ministerium nicht für die Wiederaufnahme der Untersuchung zuständig ist, aber keine Veranlassung sieht, der Regierung einen entsprechenden Antrag zu stellen.

In einem Urteil vom Oktober 2019 stellt das Gericht nun fest, dass die Republik Estland auf den Antrag der Angehörigen zu antworten hat. Dieser Prozess handelt vorläufig nur um die Verpflichtung der estnischen Regierung, Bürgern Rede und Antwort zu stehen. Inhaltlich geht es aber um die Frage, ob die Wahrheit um den Untergang der MS Estonia jemals in glaubhafter Weise aufgedeckt werden wird. Die Saga um das schwerste zivile Schiffsunglück seit dem Untergang der Titanic geht weiter.

 

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