EGMR: Keine unbeschränkte Überwachung privater Internetkommunikation am Arbeitsplatz

Eine Kontrolle privater Kommunikation muss für den Arbeitnehmer vorhersehbar sein, andernfalls ist Art. 8 der EMRK verletzt (Barbulescu v. Rumänien)

 

Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat Rumänien wegen eines Verstoßes gegen Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; Recht auf Privatsphäre) verurteilt (Barbulescu v. Rumänien, Urteil vom 05.09.2017). Dem rumänischen Staatsbürger Bogdan Barbulescu war 2007 gekündigt worden, weil er einen von ihm eingerichteten Messenger-Dienst bei yahoo, über den Anfragen von Kunden des Arbeitgebers beantwortet werden sollten, auch privat genutzt hatte, obwohl eine interne Unternehmensregel es eindeutig verbot, Unternehmensressourcen zu privaten Zwecken zu nutzen. Der Arbeitgeber hatte die Messenger-Kommunikation überwacht und legte mit der fristlosen Kündigung zum Beweis ein 45-seitiges Transkript der privaten Chats von Barbulescu mit seinem Bruder (über Angelegenheiten in der Gesellschaft seines Vaters) und seiner Verlobten (über Themen wie Sex und Gesundheit) vor. Die angerufenen rumänischen Gerichte bestätigten die Kündigung des Arbeitgebers auch in letzter Instanz.

Nachdem der EGMR Anfang 2016 die Beschwerde abgelehnt und eine Verletzung in Art. 8 EMRK, nach dem jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz hat, verneint hatte, hat die Große Kammer des EMGR dies anders beurteilt und bewertete die unangekündigte Überwachung der Kommunikationsmittel und die deswegen ausgesprochene Kündigung als Verstoß gegen Art. 8 EMRK.

Denn ein Arbeitgeber sei zwar berechtigt, die Kommunikation von Mitarbeitern zu überprüfen, aber dafür müssten bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Im Fall Barbulescu hätten die rumänischen Gerichte nicht geprüft, ob Barbulescu von seinem Arbeitgeber über die Möglichkeit, die Art und das Ausmaß von Kontrollen vorab informiert wurde. Sei dies nicht geschehen, liege ein Verstoß gegen das Recht auf Achtung der privaten Korrespondenz vor. Ferner sei vom rumänischen Gericht nicht geklärt worden, ob ein legitimer Grund für die Kontrollmaßnahmen vorgelegen habe und ob nicht mildere Überwachungsmethoden möglich gewesen wären, d.h. ob nicht auch ein weniger drastisches Mittel ausgereicht hätte, um die private Korrespondenz zu unterbinden, z.B. eine Abmahnung. Anders als die vorinstanzlichen Urteile sah die große Kammer Artikel 8 EMRK verletzt und sprach Barbulescu eine Entschädigung in Höhe von 1.365 € zu.

Der EGMR stellt fest, dass bei einer Überwachung am Arbeitsplatz der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorab über die Möglichkeit und das Ausmaß von Kontrollen informieren muss; weiterhin muss ein legitimer Grund für die Überwachung vorliegen, und schließlich müssen mildere Kontrollmaßnahmen und weniger einschneidende Konsequenzen als etwa eine Kündigung in Erwägung gezogen werden.

Das Urteil des EGMR gilt zwar unmittelbar nur für Rumänien, die darin festgelegten Kriterien werden in Zukunft jedoch auch für alle anderen Unternehmen in Europa (außer Weißrussland) verpflichtend sein, da sich u.a. die Tschechische Republik, Deutschland, Polen, die Slowakei, die baltischen Länder, Ungarn, Bulgarien etc. als Mitglieder des Europarates ebenfalls an diese Vorgaben halten müssen. Dieses Urteil deckt sich im Grundsatz auch mit den Anforderungen, die die Ende Mai 2018 in Kraft tretende EU-Datenschutzgrundverordnung (sog. GDPR) an die Arbeitnehmerüberwachung stellt. Relevant sind hier insbesondere die allgemeinen Erlaubnisregelungen in Art. 5 ff. sowie Art. 88, der die »Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext« normiert. Hierbei wird ein sehr allgemeiner Rahmen vorgegeben, der dem bisherigen Rahmen des § 28 BDSG entspricht und u. a. als Zulässigkeitsalternativen die Erforderlichkeit für die Vertragserfüllung oder für die Wahrnehmung eines berechtigten Interesses nennt, es sei denn, dass überwiegende Interessen des Betroffenen überwiegen. Eine angemessene Kontrolle muss für den Arbeitnehmer auch nach der GDPR vorhersehbar sein.

Quelle:
http://hudoc.echr.coe.int/fre?i=001-177083
https://www.datenschutz-grundverordnung.eu/

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