Deutsches Bundesverfassungsgericht erweitert den Katalog der Menschenrechte

Beim Aussprechen des Wortes Sterbehilfe denken die meisten Leute in Europa an die Schweiz und die Benelux-Staaten. Im Februar ist nun auch Deutschland einen Schritt näher in Richtung Sterbehilfe gegangen, als das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass ein Recht auf den Tod bestehe, und die Bestimmung des § 217 StGB-de aufhob, mit der die entgeltliche Teilnahme an der Selbsttötung unter Strafe gestellt wurde.

Die Sterbehilfe ist ein widersprüchliche Reaktionen hervorrufendes Konzept. Sie hat unterschiedlichste Formen – es handelt sich nicht nur um das aktive Töten einer Person auf deren Verlangen. Eine bestimmte Form der Sterbehilfe wird auch in der Tschechischen Republik respektiert, und zwar die sogenannte passive Sterbehilfe, d.h. die Möglichkeit eines Menschen, Behandlung abzulehnen und in diesem Zusammenhang zu sterben, bzw. die Pflicht des Arztes, jemanden in einer solchen Situation nicht zu behandeln und sterben zu lassen. Einen solchen Tod bezeichnen wir jedoch ungern als Sterbehilfe. In den meisten Ländern wird Sterbehilfe bis heute allgemein immer noch mit zu wenig Respekt betrachtet, obwohl sich die Idee von der wichtigen Freiheit des Menschen, selbst zu bestimmen, wann und wie er stirbt, langsam in der Gesellschaft verbreitet. Der Gedanke, dass jemand den Tod dem Leiden vorziehen kann, und dass es keine Straftat ist, ihm bei der Umsetzung seines Willens Hilfe zu gewähren, schwingt mit. Im Februar dieses Jahres hat das deutsche Bundesverfassungsgericht einen weiteren Schritt unternommen, um den freien Willen des Einzelnen zu respektieren, und die Auffassung von der legalen Sterbehilfe in Deutschland erweitert.

Auch vor dem 26.02.2020 war der Ansatz Deutschlands gegenüber dem freiwilligen Verlassen dieser Welt offener als der in der Tschechischen Republik. In Deutschland ist und war die Beteiligung an der Selbsttötung keine Straftat, wenn der bei der Selbsttötung Hilfestellung Leistende selbstlos handelt. Mit anderen Worten, Deutschland lässt und ließ assistierte Selbsttötung zu; vor dem 26.02.2020 war es jedoch unmöglich, assistierte Selbsttötung geschäftsmäßig – d.h. gegen Bezahlung – zu leisten. Dies wurde durch § 217 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB-de) verboten.

Am 26.02.2020 hat das Bundesverfassungsgericht jedoch entschieden (Urteil Az. 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16), dass„das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst“. Laut Bundesverfassungsgericht sind die Gesellschaft und der Staat verpflichtet, die Entscheidung einer Person, ihr Leben zu beenden, zu respektieren. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst dann auch die Freiheit, für eine solche Handlung die Hilfe Dritter zu suchen, ebenso wie die Freiheit, die angebotene Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Das Bundesverfassungsgericht kam durch Argumente bezüglich des Rechts auf Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen zu dem Schluss, dass § 217 Abs. 1 StGB-de, der die geschäftsmäßige Beteiligung an einer Selbsttötung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, gegen das grundlegende Rechte der Freiheit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz verstößt und dass § 217 StGB-de daher nichtig ist.

Deutschland hat zwar keine aktive Sterbehilfe in Form der Möglichkeit zugelassen, eine Person auf deren eigenen Wunsch ungestraft aktiv zu töten, hat aber die assistierte Selbsttötung vollumfänglich, also auch gegen Bezahlung, ermöglicht.

Die grundlegenden Menschenrechte, aus denen das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Tod und auf die Selbstbestimmung dessen herleitet, wie man sterben wird, gibt es natürlich auch hier, in der Tschechischen Republik. Auch wir haben das Recht auf Selbstbestimmung, und sind, wie die Charta der Grundrechte und Grundfreiheiten gleich zu Beginn feststellt, frei und gleich in der Würde und den Rechten. Dennoch hat der tschechische Gesetzgeber das Recht auf den Tod noch nicht akzeptiert, und das Gerichtssystem zögert, es zu begründen. In der Tschechischen Republik haben wir also ein Recht aufs Leben, aber kein Recht auf den Tod.

In der Entscheidungspraxis des tschechischen Verfassungsgerichts ist jedoch nicht selten eine Inspiration durch das deutsche Bundesverfassungsgericht zu beobachten. Es ist daher möglich und unter dem Gesichtspunkt der Förderung von Freiheit und Willensautonomie vielleicht auch wünschenswert, dass sich das tschechische Verfassungsgericht auch in der Frage dieses Themas in Deutschland inspirieren lässt.

Quelle:Urteil des Bundesverfassungsgerichts Az. 2 BvR 2347/16, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16, vom 26.02.2020

 

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