Ausnahmezustand und Mietverträge im Lichte von Covid-19 in Lettland

Ob der in Lettland ausgerufene Ausnahmezustand „höhere Gewalt“ ist, muss jeweils gesondert festgestellt werden.

Am 12. März 2020 rief die Regierung Lettlands den Ausnahmezustand im Land aus. Dieser wurde wiederholt abgeändert und erweitert. Entsprechend dieser Entscheidung wurde im ganzen Land der Ausnahmezustand bis zum 9. Juni 2020 ausgerufen, um die Ausbreitung des Covid-19-Virus einzudämmen.

Hiermit wurde eine Reihe von Beschränkungen verabschiedet, wie z. B. das Verbot des Betriebs von Einkaufszentren an Wochenenden und Feiertagen. Für Mieter von Einzelhandelsflächen stellte sich daher die Frage, ob der Notstand als höhere Gewalt anerkannt wird, welche die Vertragsparteien von ihren vertraglichen Pflichten befreit.

Hierzu werden in Lettland unterschiedliche Meinungen vertreten. Fest steht allerdings, dass die Entscheidung über die Umstände der Notsituation nicht schon automatisch als ein Ereignis anerkannt wird, welches die Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen rechtfertigt. Auch die Tatsache, dass „höhere Gewalt“ im lettischen Recht nicht definiert ist, erschwert die Beantwortung dieser Frage, welche auch in den entsprechenden Regierungsanordnungen unbeantwortet blieb.

In der Rechtstheorie und Rechtsprechung stützt sich der Begriff der höheren Gewalt auf vier Elemente:
1. ein Ereignis, das nicht verhindert werden kann und dessen Folgen nicht bewältigt werden können;
2. zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses konnte die Partei, die sich auf höhere Gewalt beruft, das Ereignis vernünftigerweise nicht vorhersehen;
3. das Ereignis ist nicht durch das Verschulden dieser Partei oder einer Person in ihrem Herrschaftsbereich eingetreten;
4. das Ereignis erschwert die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen nicht nur, sondern macht sie unmöglich.

Wenn die von der anderen Partei mitgeteilten Umstände all diese Kriterien erfüllen, muss höhere Gewalt angenommen werden. Besondere Aufmerksamkeit ist dem vierten Kriterium zu widmen, welches gerade die Unmöglichkeit und nicht nur die Schwierigkeit der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung betont. In einem Fall, in dem die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen sehr kompliziert, aber theoretisch möglich ist, kann daher, selbst wenn alle anderen Voraussetzungen erfüllt sind, kein Fall höherer Gewalt mehr gegeben sein.

Demnach sind der Ausnahmezustand und die Beschränkungen für den Betrieb von Einkaufszentren nicht von vornherein als Umstände höherer Gewalt anzusehen, die ohne weiteres zu einer Befreiung von den mietvertraglichen Verpflichtungen führen würden. In Fällen, in denen die gewerbliche Tätigkeit an Feiertagen verboten ist, sollten sich Vermieter und Mieter, auch wenn dies gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, über eine mögliche Mietminderung oder andere Erleichterungen einigen. Darüber hinaus muss jeder Einzelfall betrachtet werden, beginnend damit, ob und in welcher Form höhere Gewalt im Mietvertrag zwischen den Parteien vereinbart ist.

In jedem Fall muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen nachgewiesen werden. Hierbei muss die Art des Geschäfts und der Unmöglichkeit, dieses fortzuführen, berücksichtigt werden.

Quelle: 1) Ministerkabinett der Republik Lettland, 12. März 2020, verabschiedeter Beschluss Nr. 103 „Zur Ausrufung des Ausnahmezustands“ mit Änderungen
              2) Urteil vom 26.01.2011 der Abteilung für Zivilsachen des Senats des Obersten Gerichts der Republik Lettland im Fall Nr. SKC-11/2011

 

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