Fazit nach einem Jahr Erklärungsrecht und Wiedergutmachungseinbürgerung in §§ 5 und 15 des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) – mehr als 20000 Anträge beim BVA seit dem 1.1.2021 eingereicht

Am 20. August 2021 trat die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes (§§ 5 und 15 StAG) in Kraft – seitdem gibt es befristet gemäß § 5 StAG ein zehnjähriges Erklärungsrecht (zur Einbürgerung für Altfälle), also bis 19. August 2031, und in § 15 StAG unbefristet die neue Möglichkeit einer sog.

Am 20. August 2021 trat die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes (§§ 5 und 15 StAG) in Kraft – seitdem gibt es befristet gemäß § 5 StAG ein zehnjähriges Erklärungsrecht (zur Einbürgerung für Altfälle), also bis 19. August 2031, und in § 15 StAG unbefristet die neue Möglichkeit einer sog. Wiedergutmachungseinbürgerung (cf unsere Artikel: https://bnt.eu/de/nachrichten-zum-wirtschaftsrecht/liberalisierung-im-deutschen-stag-in-kraft-getreten/). Wir erläutern dies anhand von zwei Beispielsfällen und stellen die neuen Statistiken des Bundesverwaltungsamtes (BVA) vor.

In einem historisch interessanten Fall, den bnt erfolgreich abgeschlossen hat, ging es um die Nachfahren von Karl-Philipp Rosenberg, einem 1909 in Haltern am See in Westfalen geborenen deutschen Staatsbürger „jüdischer Religion“, wie es in seiner preußischen Geburtsurkunde heißt. Auch die Geburtsurkunde seines Vaters von 1863, die bnt aus Archiven besorgte, wies diesen Zusatz auf. Nach Flucht 1933 in die Niederlande, Rückkehr ins Deutsche Reich, Verhaftung und Inhaftierung im KZ Esterwegen bis Sommer 1936, als dieses aufgelöst wurde, gelang ihm und seinem Onkel Adolf Rosenberg 1937 die Flucht aus Deutschland; sein Onkel Adolf ging in die USA, er selbst nach Belgien, dann nach Frankreich, wo er sich 1941 der französischen Résistance anschloss und bis 1944/1945 gegen die deutschen Besatzer Frankreichs kämpfte. Seine Mutter gelang die Flucht nicht, sie wurde 1942 in Theresienstadt ermordet. Die Tochter von Karl-Philipp, die nun in London lebt, wurde 1941 in Frankreich geboren, er selbst wurde 1947 belgischer Staatsbürger und emigrierte 1952 nach Spanien, wo er 1985 starb. Seine materiellen Ansprüche wurden in einem Wiedergutmachungsverfahren 1962 abgelehnt, weil er keine deutsche Staatsbürgerschaft mehr hätte (die hatte er 1941 im November nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz verloren, nach der alle Juden deutscher Staatsbürgerschaft mit Aufenthalt außerhalb des Großdeutschen Reiches ausgebürgert wurden), und weil er keine Anmeldebescheinigungen für die Jahre 1941 bis 1945 vorlegen konnte – aber er lebte im französischen Untergrund!! bnt koordinierte die Anträge nach Art. 116 Abs. 2 GG für seine Tochter in London, seine Enkelkinder in Frankreich und den USA und seine Urenkel in Mexiko. Eine Umdeutung der Anträge in solche nach § 15 Nr. 4 StAG war trotz der Einbürgerung von Karl-Philipp Rosenberg in Belgien 1947 nicht notwendig, in anderen Fallgestaltungen ist das aber die Lösung, statt nach Art. 116 Abs. 2 GG eine Einbürgerung zu ermöglichen, denn § 15 StAG soll gerade solche Fälle auffangen.

In drei Verfahren nach § 5 StAG – Erklärungsrecht – vertritt bnt zwei Familien in Nikaragua: in beiden Fällen waren die Mütter der Antragsteller, deren Väter aus Deutschland in den 20er bzw. 30er Jahren emigriert waren, deutsche Staatsbürger geblieben. Diese hatten jeweils einen Nikaraguaner in den 50er Jahren geheiratet, die Antragsteller wurden 1960 und (Zwillinge) 1967 geboren. § 5 Nr. 1 soll solche Fälle regeln: denn bis 1975 konnten Kinder von deutschen Müttern, die einen ausländischen Vater hatten, nicht die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben (das konnten nur Kinder von deutschen Vätern); bei unehelichen Kindern von deutschen Vätern galt diese verfassungswidrige Ungleichbehandlung sogar bis 1993 (nur die unehelichen Kinder von deutschen Müttern wurden deutsche Staatsbürger); Übergangsfristen waren schon 1977 bzw. 1995 abgelaufen, viele Betroffene hatten diese Fristen aber verpasst. Nun haben sie bis 19. August 2031 ein Erklärungsrecht nach § 5 StAG. Die drei laufenden Verfahren sind noch nicht beschieden.

Leider dauern die Verfahren nach §§ 5 und 15 StAG sehr lange, wobei der Fall von Frau Rosenberg aus London schnell entschieden wurde, weil sie 1941 geboren war, d.h. aus der sog. „Erlebnisgeneration“ stammt. In den anderen Fallgruppen macht das BVA mit der Bearbeitung große Fortschritte. Für Anträge nach Art. 116 Abs. 2 GG schiebt das BVA aber immer noch einen großen Berg von Anträgen vor sich her, Bearbeitungszeiten von bis zu zwei Jahren oder mehr sind möglich. Denn seit dem Brexit waren die Antragszahlen emporgeschnellt auf ca. 15000 Anträge pro Jahr, seit dem 1.1.2021 (bis zum 21.8.2022) erhielt das BVA 10514 Anträge aufgrund von Art. 116 Abs. 2 GG, d.h. 30 Anträge pro Tag, konnte aber 13032 Einbürgerungsurkunden ausstellen, mehr als 40 pro Tag. Nur 12 Anträge wurden abgelehnt. Dazu kamen aber seit dem 20.8.2021 noch 3620 Anträge nach § 15 StAG, d.h. ca. 10 Anträge pro Tag, von denen erst 856 Anträge positiv beschieden wurden, nur ein Antrag wurde abgelehnt. Von den beschiedenen §15-Anträgen betrafen 285 Anträge Personen und deren Vorfahren, die von 1933 bis 1945 in Deutschland wohnten, wegen der Verfolgung aber Deutschland verlassen mussten – auch wenn sie z.B. polnische, tschechoslowakische oder rumänische Staatsbürger waren, denn ein Anspruch auf deutsche Staatsangehörigkeit besteht auch, wenn die Vorfahren selbst nie deutsche Staatsbürger waren – (Nr. 4; hier ist immer noch unklar, was unter „Deutschland“ gemeint ist, d.h. in welchen Grenzen: das zu Ende, 1937, 1938, 1939 oder 1941?); 64 Anträge betrafen Antragsteller oder deren Vorfahren, die von einer Einbürgerung ausgeschlossen waren (Nr. 3), 78 Anträge betrafen Antragsteller oder deren Vorfahren, die von Sammeleinbürgerung ausgeschlossen waren (Nr. 2; z.B. die es wegen der jüdischen Herkunft nicht auf die Volkslisten in z.B. Danzig, Memel, dem Sudetenland, dem Protektorat oder Galizien schafften – das wird von dem BVA nicht ausgewiesen). Zuletzt betrafen 550 Anträge Antragsteller oder deren Vorfahren, die im Sinne von § 15 Nr. 1 „die deutsche Staatsangehörigkeit vor dem 26.2.1955 aufgegeben oder verloren haben“.

Nach § 5 StAG hat das BVA seit dem 20.8.2021 6815 Anträge erhalten (zum 21.8.2022), d.h. jeden Tag ca. 20 Anträge. Davon betrafen die meisten Anträge, die schon entschieden wurden (681), solche Antragsteller, die zwar von einem deutschen Vater oder Mutter abstammten, von diesem Elternteil aber nicht die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten konnten (§ 5 Nr. 1), dann gab es 25 erfolgreiche Anträge nach § 5 Nr. 2 von Kindern, deren Mütter vor der Geburt durch die Eheschließung mit einem Ausländer die deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatten (nach dem bis 31.3.1953 geltenden § 17 Nr. 6 RuStAG a.F.), und zwei Kinder hatten nach § 5 Nr. 3 nach der Geburt ihre deutsche Staatsangehörigkeit wieder durch eine Legitimation verl0ren (nach dem bis 31.3.1953 geltenden § 17 Nr. 5 RuStAG a.F.), und dazu gab es noch 827 (Nr. 4) erfolgreiche Anträge von Abkömmlingen von Personen nach Nr. 1 bis Nr. 3.

Insgesamt kann festgestellt werden: es gab im ersten Jahr gemäß den neuen §§ 5 und 15 StAG über 10000 Anträge, dazu kommen nach Art. 116 Abs. 2 GG noch einmal 10000 Anträge pro Jahr. Das sind ca. 10 % aller Einbürgerungen, denn Einbürgerungen in Deutschland gab es 2020 bzw. 2021 ca. 110000 bzw. ca. 131600. Zu den beim BVA nach Art. 116 Abs. 2 GG und §§ 5 und 15 StAG eingereichten Anträgen (ca. 20000 seit 1.1.2021) kommen noch die Anträge, die nicht vom BVA, sondern von deutschen Ausländer- und Landratsämtern entschieden werden. Denn die sind zuständig, wenn die Antragsteller nicht im Ausland, sondern im Inland wohnen, aber die sind in der BVA-Statistik zu Art. 116 Abs. 2 GG und § 15 StAG nicht enthalten (zwei erfolgreiche Anträge nach § 15 Nr. 4 StAG im Inland, in Berlin und Bad Kissingen, hat bnt ebenfalls begleitet: beide betrafen Kinder, die Berlin zwischen 1938 und 1939 nach England und Palästina verlassen hatten, das eine Kind war polnischer, das andere Staatsangehöriger der Freien Stadt Danzig).

Alles in allem ist das Vierte Gesetz zur Reform des StAG positiv angenommen, aber für einige Fallgruppen, z.B. bei § 15 Nr. 3 und 4 StAG, gibt es noch Zweifel in der Auslegung. Das wird vor den Verwaltungsgerichten geklärt werden, aber die Ablehnungszahlen sind sehr gering. Auf jeden Fall sollte das BVA mit mehr Personal ausgestattet werden, damit die Anträge, die nun eingehen, auch zügig bearbeitet werden können.

Newsletter abonnieren

Wenn Sie den Newsletter abonnieren, stimmen Sie zugleich unseren Datenschutzbedingungen zu.