Die vorsätzliche Vortäuschung von Arbeitsleistung kann als grobe Verletzung der Pflichten des Arbeitnehmers angesehen werden

Die vorsätzliche Vortäuschung von Arbeitsleistungen kann nach Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs als grober Verstoß gegen Arbeitnehmerpflichten gewertet werden.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 20.05.2022 (21 Cdo 424/2021) befasst sich u.a. mit der Frage der vorsätzlichen Vortäuschung von Arbeitsleistungen seitens des Arbeitnehmers. Sie enthält interessante Schlüsse insbesondere für Arbeitgeber mit Klärungsbedarf, wie intensiv denn eine Verletzung von Arbeitspflichten durch den Arbeitnehmer sein muss, um eine Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses wg. Verletzung rechtlicher Pflichten in Bezug auf die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeit zu rechtfertigen.

Der vom OGH zu lösende Fall betraf die Auslegung der Intensität der arbeitnehmerseitigen Pflichtverletzung in Bezug auf den Kündigungsgrund gemäß § 52 Buchst. g) ArbGB-cz. Die Entscheidung handelte zugleich die einzelnen Pflichten des Arbeitnehmers ab, die sich aus den den Rechtsvorschriften ergeben und für jeden Arbeitnehmer verbindlich sind. Freilich sei hier angemerkt, dass der Fall insofern recht spezifisch war, als es sich beim Arbeitnehmer um eine Amtsperson (Sachbearbeiter bei einer Gebietskörperschaft) handelte, dessen (später als pflichtwidrig erkanntes) Verhalten Gegenstand eines Deliktverfahrens war.

Im vor den OGH gelangten Fall hatte der Arbeitnehmer im Rahmen der Anwesenheitserfassung ein späteres Verlassen des Arbeitsplatzes erklärt, obwohl er nachweislich bereits 16 Minuten vor dem deklarierten Weggang nicht mehr an seinem Arbeitsplatz war. Der Arbeitgeber erachtete dies als Verstoß gegen die arbeitnehmerischen Pflichten im Sinne eines Angriffs auf das Vermögen des Arbeitgebers, insofern als der Arbeitnehmer für diese sechzehn Minuten vom Arbeitgeber ein Gehalt für gar nicht geleistete Arbeit erhielt, und damit vorsätzlich und gesetzwidrig das Vermögen des Arbeitgebers minderte.

Der OGH betonte, dass jeder Arbeitnehmer gemäß Arbeitsgesetzbuch verpflichtet ist, die Arbeitszeit und die ihm anvertrauten Produktionsmittel zur Erfüllung der ihm auferlegten Arbeitsaufgaben zu nutzen und diese Aufgaben in guter Qualität und fristgerecht zu erfüllen. Arbeitnehmer haben außerdem die Rechtsvorschriften einzuhalten, die sich auf die von ihnen geleistete Arbeit beziehen, und mit den ihnen anvertrauten Vermögenswerten des Arbeitgebers ordentlich zu wirtschaften; das Vermögen des Arbeitgebers haben sie außerdem zu wahren und und vor Beschädigung, Verlust, Zerstörung und Missbrauch zu schützen. Auch dürfen Arbeitnehmer nicht im Widerspruch zu den berechtigten Interessen des Arbeitgebers handeln.

Das Gericht führte des Weiteren aus, diese Pflichten gehörten zu den grundlegenden arbeitnehmerischen Pflichten und bildeten als solche den moralischen Imperativ, der jedem Arbeitnehmer auferlegt würde. Nach Auffassung des OGH erstreckt sich auf den Arbeitnehmer außerdem die allgemeine Präventionspflicht in Bezug auf das Vermögen und die berechtigten Interessen des Arbeitgebers.

Der Oberste Gerichtshof befand, ein Angriff auf das Vermögen des Arbeitgebers stelle einen derart erheblichen Umstand dar, dass er im Regelfall bereits für sich genommen den Schluss zulässt, dass ein besonders grober Verstoß gegen die Pflichten des Arbeitnehmers gemäß den für seine Arbeit einschlägigen Rechtsvorschriften vorliegt. In diese Kategorie der intensivsten Pflichtverletzungen wollte der OGH auch das Handeln des fraglichen Arbeitnehmers eingeordnet wissen, bestehend in der „vorsätzlichen Vortäuschung von Arbeitsleistungen“, also einer Situation, in der der Arbeitnehmer die Arbeitszeit zur Erledigung privater Angelegenheiten nutzt, dem Arbeitgeber gegenüber jedoch diese Tätigkeit als Arbeitsleistungen ausweist.

Das o.g. Urteil führte aus, der Angriff auf das Vermögen des Arbeitgebers (obschon indirekt, u.a. in Form der Vortäuschung von Arbeitsleistungen) habe in punkto Intensität der Verletzung der gesetzlichen Arbeitnehmerpflichten den Grad einer besonders groben Pflichtverletzung erreicht. Ein solches Handeln ermöglicht die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses nicht nur im Wege der Kündigung gemäß § 52 Buchst. g) ArbGB-cz, sondern auch im Wege der fristlosen Kündigung gemäß § 55 Buchst. b) ArbGB-cz. Gemäß OGH ist es nämlich von vornherein unerheblich, welche Vermögenswerte in welchem Umfang durch den Angriff bedroht oder von ihm betroffen sind.

Das hier beschriebene Fazit des OGH ist insofern von Bedeutung, als das Gericht die vorsätzliche Erledigung von Privatangelegenheiten während der Arbeitszeit als die schwerwiegendste vom Arbeitsgesetzbuch geregelte Verletzung von Arbeitnehmerpflichten wertete. Es stellt sich nun die Frage, wie sich die Rechtsprechung im Kontext der genannten Entscheidung weiter entwickeln wird, und ob die Gerichte die vorsätzliche Vortäuschung von Arbeitsleistungen als einen gegen das Vermögen des Arbeitgebers gerichteten Angriff von solcher Intensität betrachten werden, dass er die fristlose Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigt.

Quelle:
Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 20.05.2022 (21 Cdo 424/2021)

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