Bahnbrechende Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts zur Möglichkeit des Arbeitgebers, von einer Wettbewerbsklausel zurückzutreten

Am 21.05.2021 erging eine Entscheidung des Verfassungsgerichts (AZ II. ÚS 1889/19), in dem sich die Verfassungshüter deutlich von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Rücktritts von Wettbewerbsklauseln abwenden. Das Verfassungsgericht entschied, ein Rücktritt des Arbeitgebers von der Wettbewerbsklausel sei noch nicht allein deswegen absolut nichtig, weil der Arbeitgeber keine Gründe für seine Entscheidung angab.

In einem Fall, der vor dem Verfassungsgericht landete, hatten ein Arbeitgeber und ein Arbeitnehmer während des Bestehens des Arbeitsvertrags eine Wettbewerbsklausel vereinbart. Der Arbeitgeber verpflichtete sich zur Zahlung einer finanziellen Entschädigung an den Arbeitnehmer für dessen Einhaltung des Wettbewerbsverbots während eines Zeitraums von sechs Monaten ab Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses. In der Wettbewerbsklausel vereinbarten die Parteien, es solle dem Arbeitgeber möglich sein, die Wettbewerbsklausel jederzeit während des Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses durch schriftliche Rücktrittserklärung zu widerrufen, und zwar auch ohne Angabe von Gründen. Der Arbeitgeber machte denn auch Gebrauch von dieser Rücktrittsmöglichkeit, noch bevor der Arbeitsvertrag ausgelaufen war. Der Arbeitnehmer war der Überzeugung, dieser Rücktritt sei nichtig und klagte deshalb auf Zahlung eines Betrags entsprechend der finanziellen Abfindung, die er erhalten hätte, wäre es nicht zu dem (in seinen Augen ungültigen) Widerruf der Wettbewerbsklausel gekommen. Das Amtsgericht in Ostrava, das Bezirksgericht Ostrava (als Berufungsgericht) und der Oberste Gerichtshof gaben sämtlich seiner Klage statt, in Urteilen, die auf der gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fußten. Dieser hatte in der Vergangenheit geurteilt, ein Rücktritt von einer Wettbewerbsklausel bedürfe nicht nur einer entsprechenden Vereinbarung des Rücktrittsrechts als Teil der Klausel; vielmehr müssten die Parteien außerdem die spezifischen Gründe vereinbaren, aus denen heraus der Arbeitgeber von der Wettbewerbsklausel zurücktreten darf. Diese Gründe dürfen niemals so ausgestaltet sein, dass sie einen Rechtsmissbrauch zu Lasten des Arbeitnehmers erlauben. Da ein Rücktritt von der Wettbewerbsklausel ohne Angabe von Gründen den arbeitnehmerischen Interessen erheblichen Schaden zufügen und die Vermögensverhältnisse des Arbeitnehmers berühren könne, sei – gemäß Richterrecht – ein solcher Rücktritt absolut nichtig.

Der OGH nahm Wettbewerbsklauseln erkennbar als ein Instrument zur Schaffung von Rechtssicherheit gegenüber dem Arbeitnehmer wahr, weswegen sie primär als gültig betrachtet werden sollten, wohingegen ein Rücktritt auf Seiten des Arbeitgebers einer strengen Prüfung unterzogen wird. Der OGH unterstrich außerdem den Umstand, dass eine Wettbewerbsklausel eine vertragliche Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber darstellt; er schloss unter Bezugnahme auf das Prinzip pacta sunt servanda, dass die Stabilität von Beschäftigungsverhältnissen schutzwürdig ist und Arbeitgeber eine Wettbewerbsklausel nur aus vorab vereinbarten, eng definierten Gründen widerrufen dürfen.

Die Aufgabe des Verfassungsgerichts bestand darin zu entscheiden, ob die früheren Entscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit als verfassungskonform gelten können und ob das hergeleitete Verbot eines arbeitgeberseitigen Rücktritts von einer Wettbewerbsklausel ohne Angabe von Gründen solche Rücktrittshandlungen tatsächlich nichtig macht, selbst wenn die Parteien ausdrücklich vereinbarten, dass sie statthaft sein sollten.

Bei seinen Erwägungen gelangte das Verfassungsgericht zu dem Schluss, dass das Primärziel von Wettbewerbsklauseln im Schutz der Interessen und Rechte des Arbeitgebers besteht. Für den Arbeitnehmer hingegen bedeutet dieses Rechtsinstitut eine Einschränkung, so dass das Fehlen einer Wettbewerbsklausel eigentlich im Interesse des Arbeitnehmers ist. Laut Verfassungsgericht müssen bei der rechtlichen Beurteilung eines Widerrufs durch den Arbeitgeber zwar Kriterien wie der Zeitpunkt des Rücktritts von der Wettbewerbsklausel (etwa nur kurz vor dem Ablauf eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses!), der hinter dem Rücktritt stehende Beweggrund und andere Umstände berücksichtigt werden. Dass aber vom Arbeitgeber keine Gründe für den Rücktritt genannt wurden, ist für sich genommen noch kein Grund, das Rechtsgeschäft des Rücktritts von der Wettbewerbsklausel für nichtig zu erachten.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichts umfassen die von der Verfassung geschützte Willensautonomie und Vertragsfreiheit nicht nur die Möglichkeit, eine Verpflichtung (hier: die Wettbewerbsklausel) und deren Bedingungen auszuhandeln oder den Inhalt der wechselseitigen Rechte und Pflichten von Vertragsparteien zu vereinbaren, sondern eben auch die Möglichkeit, sich auf die Bedingungen zu einigen, zu denen eine solche Verpflichtung erlischt. Das Verfassungsgericht befasste sich sodann mit dem Problem der richterlichen Rechtsfortschreibung und befand, dass sich die Judikative außerhalb des von der Verfassung gezogenen Rahmens bewegte, als sie die absolute Nichtigkeit von Vertragsabsprachen herleitete, in denen die Möglichkeit für den Arbeitgeber verankert ist, ohne Angabe von Gründen von einer Wettbewerbsklausel zurückzutreten. Dabei sah das Verfassungsgericht den Konflikt mit der Verfassung insbesondere in der Missachtung des Gesetzeszwecks und einem Fehlverständnis der grundlegenden Prinzipien der Rechtsordnung begründet. Das Verfassungsgericht hielt es außerdem für bemerkenswert, dass die vom OGH vorgebrachten Argumente nicht ausreichend stichhaltig und sachbezogen waren, um die Auffassung zu stützen, dass ein Rücktritt ohne Angabe von Gründen absolut nichtig ist, obwohl dies aus dem Gesetzestext des Arbeitsgesetzbuchs so nicht hervorgeht. Allerdings erkennt das Verfassungsgericht an, dass der Widerruf einer Wettbewerbsklausel im Einzelfall unverhältnismäßig und womöglich rechtsmissbräuchlich sein kann.

Alle diese Aspekte sind bei einem Rücktritt von einer Wettbewerbsklausel fallweise in Betracht zu ziehen. Auf allgemeiner Ebene bleibt es einem Arbeitgeber unbenommen, eine Rücktrittsoption auszuhandeln, die nicht an Fristen, Zeitpunkte oder die Angabe von Gründen geknüpft ist; andererseits hat der Arbeitgeber stets im Einklang mit dem Gesetz vorzugehen und darf sein Rücktrittsrecht nicht missbräuchlich zum Nachteil des Arbeitnehmers ausüben. Im Lichte der Entscheidung des Verfassungsgerichts verursacht die Vereinbarung einer Rücktrittsmöglichkeit auch ohne Angabe von Gründen in Wettbewerbsklauseln jedenfalls nicht länger die absolute Nichtigkeit des Rücktritts. Insofern lässt die in diesem Artikel diskutierte Entscheidung den Schluss zu, dass der Rücktritt von einer Wettbewerbsklausel auf der Grundlage eines früher ausgehandelten Rücktrittsrechts im Zweifelfalle wohl als gültig gewertet werden wird.

 

Quelle:
Entscheidung des Verfassungsgerichts II. ÚS 1889/19

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