Ausgewählte Fragen der Instituts des zeitweiligen Schutzes im EU-Ratsbeschluss 382/2022 im tschechischen Recht

Im Kontext des gegenwärtigen Konflikts in der Ukraine erscheint es angebracht, nach drei Monaten einige Fragen im Zusammenhang mit dem Institut des zeitweiligen Schutzes zu klären, die durch die Gesetze Nr. 65/2022 Slg. („Lex Ukraine“) und ges. Nr. 221/2003 Slg. aufgeworfen werden. Gegenwärtig ist eine Änderung des Lex Ukraine geplant.

Autoren: Dr. Stephan Heidenhain, Filip Hradický

Im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Konflikt in der Ukraine, der durch die Invasion der Truppen der Russischen Föderation hervorgerufen wurde, und infolge der großen Fluchtbewegung von unschuldigen ukrainischen Staatsbürgern in die Tschechische Republik, deren Anzahl bei gegenwärtig ca. 400 000 Personen liegt – deren Gesamtanzahl liegt in der EU bei ca. 4 Millionen -, scheint es angebracht, einige Fragen bezüglich des Instituts des zeitweiligen Schutzes zu beleuchten, wie es im Gesetz Nr. 65/2022 Sb. („Lex Ukraine“) und dem Gesetz Nr. 221/2003 Sb. geregelt ist. Eine Novelle des „Lex Ukraine“ ist schon geplant. Vielleicht können diese Anmerkungen im gesetzgeberischen Prozess berücksichtigt werden.

Das Institut des zeitweiligen Schutzes wurde durch die Entscheidung der EU Nr. 382/2022 vom 4.3.2022 eingeführt („Entscheidung EU“; cf. den Artikel „Die Regeln für ukrainische Flüchtlinge in EU-Ländern“ – https://bnt.eu/de/die-regeln-fur-ukrainische-fluchtlinge-in-eu-landern/)“, und zwar in allen EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark, und das mit Verweis auf die Richtlinie 2001/55/EG. Die Massenzufluchts-Richtlinie hatte die hier aufgeführten Möglichkeiten schon vor 20 Jahren eingeführt. Dieses Instrument wurde aber nie angewandt, auch nicht in den Jahren 2015/2016, offensichtlich weil damals weder ein Konsens, noch ein politischer Wille dazu bestand.

In der Tschechischen Republik wurde die Entscheidung EU durch die Gesetze Nr. 65/2022 Sb. („Lex Ukraine“) und 66/2022 Sb. mit Verweis auf das bisher „schlafende“ Gesetz Nr. 221/2003 Sb., das eine Umsetzung der Richtlinie 55/2001/EG darstellt, durchgeführt. Der zeitweilige Schutz damit eine neue Art der Aufenthaltsgenehmigung auf dem Gebiet der Tschechischen Republik, die einem ständigen Aufenthaltstitel entspricht und seinem Inhaber den Arbeitsmarkt öffnet und ihm soziale Rechte in der Tschechischen Republik sichert. Das primäre Ziel, den Titel des zeitweiligen Aufenthalts einzuführen, war es, die Abläufe zu vereinfachen insbesondere den Verfahrensprozess zum Erhalt einer solchen Genehmigung zu beschleunigen. Ein großer Vorteil war die deutliche Entschlackung vom üblichen Formalismus der tschechischen Bürokratie. So hat der tschechische Staat den Inhabern des Titels eines zeitweiligen Schutzes die Hilfe bei der Erfüllung von verhältnismäßig einfachen Voraussetzungen garantiert, die in der Lex Ukraine enthalten sind und die im Vergleich der Voraussetzungen, die in den sonstigen Verfahren Antragstellern auferlegt werden, z.B. nach dem Ausländergesetz Nr. 326/1999 Sb., ziemlich vereinfacht sind.

Trotzdem bleiben einige Fragen bei der Anwendung der Lex Ukraine nach drei Monaten noch offen:

Problematische Gruppen von Antragsstellern

Personen, auf die sich der zeitweilige Schutz gemäß Art. 2 Abs. 1 der Entscheidung EU nicht bezieht, haben in der Tschechischen Republik praktisch zwei Möglichkeiten: entweder ein sog. „Duldungsvisum“ zu beantragen oder einen Asylantrag zu einzureichen.

Der tschechische Gesetzgeber hat leider die Gruppen der Antragsteller in § 3 Abs. 1 Lex Ukraine nicht erweitert, obwohl Art. 2 Abs. 2 der Entscheidung EU diese Möglichkeit eröffnet (z.B. für ukrainische Flüchtlinge, die schon vor dem 24.2.2022, als die Invasion begann, in der EU waren).

Darüberhinaus, die Herausnahme aus dem zeitweiligen Schutz von Drittstaatsangehörigen, d.h. nicht ukrainischen Staatsbürgern, die in der Ukraine zum 24.2.2022 keinen dauerhaften, sondern nur einen zeitweiligen Aufenthalt hatten, halten wir für einigermaßen restriktiv und eine sehr strenge Art, die Stellung einiger Gruppen von Flüchtlingen aus der Ukraine zu regeln. Es fehlt in der Lex Ukraine insbesondere ein Mechanismus, dass das Innenministerium einen zeitweiligen Schutz aus humanitären Gründen oder in Extremfällen gewähren könnte, was aber geschieht: in unserer Praxis gab es z.B. solche Flüchtlinge aus der Ukraine wie eine Familie von belarussischen Staatsbürgern – Eltern mit zwei minderjährigen Kindern -, die sich in Kiew zum 24.2.2022 als politische Flüchtlinge aus Belarus seit dem Jahre 2020 aufhielten, aber nur mit einem zeitweiligen Aufenthalt für zwei Jahre, sowie zwei russische IT-Spezialisten aus Sibirien, die sich in Charkow als Unternehmer mit einem zeitweiligen Aufenthalt auch zum 24.2.2022 für zwei Jahre aufhielten. Außerdem war in diesen Fällen schwierig zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen diese Personen zurückkehren müssen, d.h. nach Belarus oder in die Russische Föderation.

In Falle des Duldungsvisum oder der Gewährung des Asyls wird im Standardverfahren vorgegangen – und dies ist für die Flüchtlinge unpraktisch und im Hinblick auf deren dringliche Situation risikoreich. Das Risiko liegt insbesondere in der Unsicherheit, was das Ergebnis des Verfahrens betrifft, und beim Asylverfahren in der Länge des Verfahrens und bei den Erfolgschancen.

Umsiedlung von Personen mit einem zeitweiligen Schutz innerhalb der einzelnen EU-Mitgliedstaaten

In der Praxis kann auch eine Situation entstehen, dass eine Person, der schon in einem anderen EU-Staat ein zeitweiliger Schutz gewährt worden ist, feststellt, dass es für sie aus irgendwelchen Gründen günstiger wäre, einen zeitweiligen Schutz in der Tschechischen Republik statt in dem anderen EU-Mitgliedstaat zu haben, der ihr den zeitweiligen Schutz schon erteilt hat.

Wenn hier die Situation betroffen ist, dass die Umsiedlung unter den zeitweiligen Schutz aus familiären Gründen erfolgen soll, legt §§ 51 ff. des Gesetzes Nr. 221/2003 Sb. klare Bedingungen fest, diese Umsiedlung innerhalb der EU vorzunehmen. Die Bedingungen, die dieses Gesetz – nicht das spezielle Gesetz Nr. 65/2022 Sb. „Lex Ukraine“, das solche Anträge als „nichtannehmbar“ bezeichnet, -dafür festlegt, sind insbesondere solche, dass die Person, die um eine Umsiedlung des zeitweiligen Schutzes in die Tschechische Republik ersucht, ein Familienmitglied sein muss, d.h. ein Ehegatte oder ein Partner, ein minderjähriges lediges Kind etc., eines Familienmitglieds, das in der Tschechischen Republik den zeitweiligen Schutz hat, unter der Voraussetzung, dass sie dort zusammen zum 24.2.2022 gewohnt haben. Wenn die jeweilige Person nicht unter die Kategorie eines Familienmitglieds fällt, kann noch die Kategorie einer einem Ausländer nahestehende Person, die einen zeitweiligen Schutz in der Tschechischen Republik genießt, erwogen werden.

Leider muss aber festgestellt werden, dass die Lex Ukraine eine andere Möglichkeit der Umsiedlung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten (immer außer Dänemark) nicht vorsieht, obwohl Art. 11 der Richtlinie 2001/55/EG das aber ermöglicht, wenn beide EU-Staaten einverstanden sind. Dagegen kann zum Vergleich die Situation in Deutschland angeführt werden, wo §§ 24, 29 Aufenthaltsgesetz dies ermöglichen, wenn der andere EU-Mitgliedstaat der Übernahme einer solchen Person zustimmt. Diese Möglichkeit legt auch Art. 26 der Richtlinie fest. Weiterhin legt Art. 25 der Richtlinie fest, dass „die Mitgliedstaaten … im Sinne der Gemeinschaftssolidarität Personen auf(nehmen), die für den vorübergehenden Schutz in Betracht kommen“.

Direkter Widerspruch von § 5 Abs. 2 Lex Ukraine (Gesetz Nr. 65/2022 Sb.) mit § 17 des Gesetzes Nr. 221/2003 Sb. und Art. 29 der Richtlinie 2001/55/EG

Im Falle des Ausschlusses der gerichtlichen Überprüfung bei „nicht annehmbaren“ Anträgen, die in § 5 Abs. 2 Lex Ukraine aufgeführt sind, handelt es sich um einen offensichtlichen Verstoß mit den Prinzipien des Rechtsstaats. Dieser Widerspruch kann auch zu anderen Vorschriften festgestellt werden, so z.B. § 17 des Gesetzes Nr. 221/2003 Sb. und zu Art. 29 der Richtlinie 2001/55/EG:

“Die Personen, die von einem Mitgliedstaat vom vorübergehenden Schutz oder von der Familienzusammenführung ausgeschlossen worden sind, sind berechtigt, in dem betreffenden Mitgliedstaat Rechtsbehelfe einzulegen.“

Weil die Lex Ukraine erst vor kurzem in Kraft getreten ist, muss festgestellt werden, dass bisher noch keine Gerichtsentscheidungen ergangen sind, die sich mit diesem Widerspruch beschäftigen. Es ist nicht klar, ob es zu diesem Widerspruch durch ein Versehen oder durch den Willen des tschechischen Gesetzgebers gekommen ist, d.h. die Verpflichtung auszuschließen, über solche Anträge zu entscheiden, und die gerichtliche Überprüfung auszuschließen. Aber wir glauben nicht, dass dieser Ausschluss in § 5 Abs. 2 der Lex Ukraine so zufällig formuliert worden ist. Der tschechische Gesetzgeber sollte schnell eine gerichtliche Überprüfung ermöglichen und damit den Widerspruch zwischen den tschechischen Gesetzen Lex Ukraine und 221/2003 und den offensichtlichen Widerspruch zwischen der tschechischen Rechtsordnung und Art. 29 der Richtlinie 2001/55/EG beseitigen.

Dieser Widerspruch zwischen der tschechischen Umsetzung der Richtlinie 2001/55/EG, der auch andere EU-Mitgliedstaaten betreffen könnte, ist offensichtlich. Seitens des tschechischen Gesetzgebers wäre es mehr als angebracht, sofort diesen Widerspruch zu beseitigen, denn dieser kann eine fatale Folge für Tausende Flüchtlinge haben, die sich dann in einer Situation einer existenziellen Krise befinden könnten.

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