Litauen: Schlussantrag des Generalanwalts in EuGH-Rechtssache C-354/21 veröffentlicht

Litauen muss Europäische Nachlasszeugnisse voraussichtlich ohne Nennung der konkreten Immobilie akzeptieren.

Am 14. Juli 2022 wurde die vorläufige Fassung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-354/21 (R.J.R., Registrų centras) veröffentlicht.

Da der vor dem EuGH verhandelte Konflikt in ähnlicher Form auch in anderen CEE-Ländern (u.a. in Tschechien, lesen Sie weiter hier) besteht, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung des EuGH grundlegenden Charakter für das europäische Erbrecht haben wird und zahlreiche ungelöste Erbverfahren in Europa endlich zum Abschluss bringen würde.

In der Regel folgt der EuGH bei seinen Entscheidungen den Schlussanträgen.

Wie bereits berichtet (Der Kampf um die Europäischen Nachlasszeugnisse (ENZ) wird in Olmütz und in Luxemburg fortgesetzt) hatte das Oberste Verwaltungsgericht Litauens dem EuGH im Jahr 2021 eine erbrechtliche Frage des litauischen Obersten Verwaltungsgerichtshofs zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Das zugrundeliegende Verfahren vor dem litauischen Obersten Verwaltungsgerichtshof umfasst einen Erbfall nach deutschem Recht, wobei Erbgegenstand eine Immobilie in Litauen ist. Rechtliche Basis hierfür ist die Verordnung Nr. 650/2012 (EuErbVO). Diese sollte grenzüberschreitende Erbfälle eigentlich vereinfachen, indem das Erbverfahren nur noch in einem einzigen Mitgliedsstaat durchgeführt wird. Deutsche Erbfälle, die in Litauen belegene Immobilien betreffen, führen jedoch zu zahlreichen bisher ungelösten Konflikten.

Im zugrundeliegenden Verfahren wurde das Erbverfahren richtigerweise lediglich in Deutschland durchgeführt, weil der Erblasser hier zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Obwohl der Nachlass auch eine in Litauen belegene Immobilie umfasste, konnte nach der EuErbVO kein zweites Erbverfahren in Litauen eröffnet werden. Die litauische Immobilie wurde ebenfalls Bestandteil des deutschen Erbverfahrens. Allerdings hat gemäß Art. 1 (2) lit. l) der EuErbVO die Eintragung des Eigentümerwechsels im litauischen Grundbuch und nach litauischem Recht zu erfolgen. Hier fangen die Probleme an.

Damit der Erbe dem Grundbuchamt hierfür seinen Status nachweisen kann, führte Art. 62 (1) EuErbVO das Europäische Nachlasszeugnis ein, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und in diesem als Nachweis der Rechtsnachfolge Wirkung entfaltet. Es handelt sich dabei gewissermaßen um einen Europäischen Erbschein.

Das litauische Grundbuchamt verlangt gemäß Art. 23 (4) des Gesetzes über das Immobilienregister der Republik Litauen allerdings zwingend den Ausweis der konkreten Immobilie im Zeugnis, welcher diese eindeutig identifizierbar macht. Im Einzelnen verlangt es die Angabe der Adresse sowie der sogenannten Unikalus-Nr. (einmalige Nummer der Immobilie). Ohne diese Angaben verweigert das Grundbuchamt bisher jegliche Eintragung.

Hierbei besteht ein bisher ungelöster Konflikt zwischen deutschem Erbrecht und litauischem Grundbuchrecht. Grund ist die Praxis deutscher Nachlassgerichte, die (wie beim deutschen Erbschein) nicht die Immobilie in das Europäische Nachlasszeugnis eintragen, sondern lediglich die Erbenquote. Die Praxis ergibt sich aus der im deutschen Erbrecht geltenden Universalsukzession, d.h. mit dem Tod einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. Eine Angabe der Immobilie, wie sie das litauische Grundbuchrecht fordert, erfolgt daher nicht. Eine Eintragung des Eigentümerwechsels ohne Angabe der Immobilie im Nachlasszeugnis in Litauen ist allerdings nach derzeitigem Stand nicht möglich.

Nach Ansicht des Generalanwalts sei das litauische Grundbuchamt verpflichtet trotz gegenteiliger nationaler „Gepflogenheiten“ des litauischen Grundbuchrechts die Änderung im Immobilienregister einzutragen, auch wenn die Immobilie nicht konkret im Nachlasszeugnis benannt wird.

Es gäbe keinen legitimen Grund für die litauischen Behörden, für die Zwecke der Eintragung zusätzlich zur Erbenquote zusätzliche Angaben zu verlangen, um festzustellen, ob die fragliche Person Erbe des zur Rede stehenden Vermögensgegenstands ist. Diese Person zu verpflichten, sich an das deutsche Nachlassgericht zu wenden, damit es die fragliche Immobilie spezifiziert, wäre ein Formalismus, für den es keine Rechtfertigung gäbe.

Denn auch wenn der durch Erbschaft erlangte konkrete Vermögensgegenstand im Nachlasszeugnis nicht bezeichnet ist, könne sein Erwerb durch dieses Nachlasszeugnis nachgewiesen werden. Die litauischen Behörden würden über alle Informationen verfügen, die erforderlich seien, die Eintragung in das Grundbuch vorzunehmen: Sie können bestimmen, wem die Immobilie gehört bzw. gehörte und würden anhand des Nachlasszeugnisses sehen, wer Erbe ist.

Es sei Sache des litauischen Grundbuchamts, zu prüfen, ob der fragliche Vermögensgegenstand von der Rechtsfolge von Todes wegen erfasst ist, d.h. dem Erblasser gehörte. Die Behörde müsse alle Konsequenzen ziehen, die sich aus den erhaltenen Informationen des Nachlasszeugnisses ergeben.

Das deutsche Nachlassgericht sei indes nicht verpflichtet, die Immobilie im Nachlasszeugnis anzugeben. Da Art. 68 der EuErbVO keine besondere Identifizierung des Vermögensgegenstandes verlange, könne keine andere (nationale) Norm zu einem anderen Ergebnis führen.

Lediglich, wenn es im Rahmen der Eintragung in das Immobilienregister objektiv unmöglich sei, den Gegenstand des Nachlasszeugnis-Antrags zu bestimmen, könne es notwendig werden, das Nachlasszeugnis zu ergänzen, um die allgemeine Rechtsnachfolge des Erblassers durch zusätzliche Dokumente zu belegen, die zur genauen Identifizierung der geerbten Immobilie notwendig wären.

Quelle:

Schlussanträge des Generalanwalts Maciej Szpunar vom 14. Juli 2022, Rechtssache C‑354/21

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