Tschechien: Zur in Vorbereitung befindlichen Neufassung des Strafrechts (Herbst 2024)

Die „größte Novellierung des Strafrechts der letzten 15 Jahre“ sieht neue Formen der Strafe, einen geänderten Ansatz für die Verhängung von Strafen gegen juristische Personen und zahlreiche weitere Änderungen vor.

Am 13. November 2024 verabschiedete die tschechische Regierung einen Entwurf, mit dem mehrere strafrechtliche Vorschriften – konkret u.a. das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung, und das Gesetz über das Verbandsstrafrecht – neu gefasst werden. Eines der Schlüsselthemen dieser Novelle ist die Frage der Bestrafung – Strafarten, Strafbemessung, bei der Festsetzung des Strafmaßes zu berücksichtigende Umstände, usw. Daneben enthält der Gesetzesentwurf aber eine Reihe von Neuerungen, die für unternehmerisch tätige natürliche Personen sowie Unternehmen von Interesse sein dürften. Im Folgenden wollen wir deshalb eine Auswahl besonders interessanter Aspekte näher beleuchten.

Neue Strafarten für natürliche Personen

Ein Verbot der Erfüllung öffentlicher Aufträge oder der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen bzw. ein Verbot der Entgegennahme von Fördermitteln und Subventionen konnte bisher nur gegenüber einer beschuldigten bzw. verurteilten juristischen Person ausgesprochen werden. Neuerdings soll nun auch natürlichen Personen für ein bis zehn Jahre (vgl. die Obergrenze des Strafmaßes für juristische Personen von zwanzig Jahren) der Abschluss von Verträgen über die Erfüllung öffentlicher Aufträge untersagt werden können, sowie die Beteiligung an Vergabeverfahren oder öffentlichen Ausschreibungen (auf eigene oder fremde Rechnung), und zwar auch in Fällen, in denen der Betreffende als Subunternehmer, Führungskraft oder Letztbegünstigter einer juristischen Person auftritt, die am öffentlichen Auftrag bzw. der Ausschreibung teilnehmen möchte. Analog dazu ist ein Verbot der Beantragung oder Empfangnahme jeglicher Fördermittel, Subventionen, zu erstattender Finanzhilfe, Zuschüsse oder sonstiger öffentlicher Beihilfen möglich. Eine etwaige Verletzung dieses Verbot kann womöglich als weitere Straftat gewertet werden, die den Tatbestand der Vereitelung des Vollzugs einer amtlichen Entscheidung bzw. eines Kontaktverbots erfüllt.

Tätigkeit für fremde Mächte

Künftig sollen als eigenständiger Straftatbestand Handlungen beurteilt und geahndet werden, die die verfassungsmäßige Grundordnung, die Souveränität und Unverletzlichkeit des Staatsgebiets, die Verteidigung oder die nationale Sicherheit der Tschechischen Republik bedrohen oder schädigen. In diesem Zusammenhang sei auf den bereits im Strafrecht verankerten Straftatbestand des Verstoßes gegen internationale Sanktionen hingewiesen, der v.a. im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in der Ukraine in den letzten Jahren sehr viel häufiger Gegenstand von Prüfungen und Ermittlungen seitens der Zoll- und Polizeibehörden geworden ist, welche sich u.a. auf Unternehmer konzentrierten, deren geschäftliche und unternehmerische Tätigkeit sich in den betroffenen Gebieten der Russischen Föderation und der Ukraine abspielt.

Aktive Beteiligung der Geschädigten und Beschuldigten im Strafverfahren

Der Gesetzesentwurf legt es den Strafverfolgungs- und -vollzugsbehörden (also Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten) nahe, in geeignet gelagerten Fällen die Bedingungen für eine freiwillige und aktive Beteiligung des Geschädigten wie auch des Beschuldigten im Strafverfahren für die Behebung der Folgen der kriminellen Betätigung und die Wiederherstellung der durch sie beeinträchtigten Beziehungen zu schaffen. Damit kommt eines der Ziele des Gesetzesentwurfs zur Neufassung des Strafrechts zum Ausdruck, der u.a. den Ehrgeiz hegt, der Kommunikation und den Verhandlungen zwischen den Verfahrensbeteiligten größeren Raum zu geben und Wege zu finden, wie den Geschädigten der durch die Straftat erlittene Schaden ersetzt werden könnte, bei gleichzeitiger Befriedigung der gesellschaftlichen Nachfrage nach einer Bestrafung des „Täters“ (de jure des Beschuldigten), aber eben so, dass das Strafverfahren sich für diesen nicht existenzvernichtend auswirkt, sondern ihm eine anschließende Neueingliederung in die Gesellschaft ermöglicht wird. Dieses Vorhaben betrifft auch unternehmerische Rechtsträger (natürliche wie juristische Personen), die sich in einem Strafverfahren wiederfinden – sei es auf Seiten des Beschuldigten oder auf Seiten des Geschädigten.

Einstellung des Strafverfahrens

Den Staatsanwälten soll neuerdings die Möglichkeit gegeben werden, ein Strafverfahren auch dort einzustellen, wo die Ergebnisse der Ermittlungen nach Beibringung sämtlicher verfügbarer Beweise keine hinreichenden Gründe liefern, den Beschuldigten vor Gericht zu bringen, und alles darauf hindeutet, dass im Gerichtsverfahren nicht die notwendigen Tatsachen festgestellt würden, um die Schuld des Beschuldigten zu beweisen. Dieser Vorschlag wird zweifelsohne intensive Debatten unter allen am Strafverfahren beteiligten Fachleuten –insbesondere Staatsanwälten und Strafverteidigern – auslösen, denn die Beurteilung der Frage, ob die Schuld des Beschuldigten hinreichend bewiesen ist oder nicht, ist höchst subjektiv, oft unterschiedlich bzw. geradezu gegenläufig, am häufigsten wohl zwischen den o.g. beiden Gruppen von Juristen, die ja im Strafverfahren auf den sprichwörtlichen „entgegengesetzten Seiten der Barrikade“ stehen.

Verfahrenskonzentration

Ebenfalls für erbitterte Diskussionen unter Fachleuten dürfte der Vorschlag auslösen, eine Vereinbarung über Schuld und Strafe oder Schulderklärung bzw. die Unstreitigkeitstellung bestimmter Tatsachen nur bis zum Beginn der Beweisaufnahme vor Gericht zu ermöglichen. In der Praxis geschieht es nicht selten, dass die Vereinbarung über Schuld und Strafe erst im späteren Verlauf des Gerichtsverfahrens zustande kommt, u.a. auch im Hinblick darauf, wie sich das Verfahren entwickelt, bzw. sogar erst im Berufungsverfahren, z.B. unter Berücksichtigung der bereits im erstinstanzlichen Verfahren verhängten, noch nicht rechtskräftigen Strafe.

Strafrechtlicher Vergleich

Der Gesetzesentwurf lockert die Bedingungen für die Genehmigung des Vergleichs als eine der Formen der sog. Diversion im Strafverfahren (bei der das Strafverfahren ohne Verurteilung des Beschuldigten endet). So müsste neuerdings nicht mehr der gesamte Schaden ersetzt werden; es soll die Beseitigung von wenigstens 30 % der verursachten Einbuße genügen, wenn sich der Beschuldigte zugleich verpflichtet, dem Geschädigten den Rest innerhalb einer vereinbarten Frist in Raten zu erstatten.

Verhältnismäßigkeit von im Verbandsstrafrecht verhängten Strafen

Bei der Bestimmung der Art der Strafe und des Strafmaßes im Falle einer verurteilten juristischen Person haben die Gerichte bisher den Charakter und die Schwere der kriminellen Betätigung in Betracht gezogen, sowie die Umstände der juristischen Person, ihre bisherige Tätigkeit und ihre Vermögensverhältnisse, aber u.a. auch die Frage, ob die juristische Person einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse nachgeht, welches für die Volkswirtschaft, die Landesverteidigung oder die nationale Sicherheit von strategischer oder nur schwer zu ersetzender Bedeutung ist. Das Gericht zieht außerdem das Verhalten der juristischen Person nach der Tat in Erwägung, d.h. insbesondere, ob tätige Reue vorhanden ist, den Schaden zu erstatten oder andere schädliche Auswirkungen der Tat zu beheben. Es berücksichtigt des Weiteren die Auswirkungen und Folgen, die von der Strafe für die künftige Aktivität der juristischen Person zu erwarten sind. Zu dieser Bandbreite der vom Gericht bei der Strafbemessung zu berücksichtigenden Umstände sollen nun neu die Belegschaftsstärke und der Unternehmensgegenstand hinzukommen (die an die Stelle des bisherigen Kriteriums der Vermögensverhältnisse treten), sowie der Umstand, ob die juristische Person einen wirksamen Apparat an Maßnahmen eingeführt hat, die für die Einhaltung der Rechtsvorschriften und die Verhinderung von Straftaten sorgen sollen (wobei diese präventiven Maßnahmen auch als sog. Compliance-Programm bekannt sind). Nicht zuletzt kann das Strafmaß außerdem dadurch beeinflusst werden, ob bzw. wie die juristische Person sich nach der Tat bemüht hat, den Schaden zu ersetzen und andere schädliche Auswirkungen zu beheben, oder ob bzw. wie sie einen Katalog von präventiven Maßnahmen sowie Maßnahmen zur Verhinderung des Risikos einer erneuten bzw. ähnlichen kriminellen Betätigung eingeführt hat (sog. Wiedergutmachungsmaßnahmen). Der im Gesetzesentwurf vorgeschlagene Wortlaut sieht eine Regelung vor, wonach anhand bestimmter Parameter kontrolliert werden soll, ob und wie präventive Maßnahmen und Wiedergutmachungsmaßnahmen entworfen und umgesetzt wurden.

Beendigung des Strafverfahrens

Über den Rahmen der Strafprozessordnung hinaus führt das Änderungsgesetz weitere Möglichkeiten ein, unter denen die Strafverfolgung einer juristischen Person zu den Akten gelegt bzw. ausgesetzt werden kann oder von der Strafverfolgung unter bestimmten Auflagen abgesehen wird.

Es wird interessant sein zu verfolgen, welche Diskussionen hinsichtlich der einzelnen im Gesetzesentwurf enthaltenen Ideen nicht nur zwischen den Vertretern der Gesetzgebung, sondern auch unter Strafrechtlern und anderen Fachleuten stattfinden werden, und in welcher Form das Änderungsgesetz letztlich verabschiedet und zum Bestandteil der Rechtsordnung werden wird.

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