Tschechien: Tschechisches Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht – Änderungen durch Lex Ukrajina und aktuelle Rechtsprechung tschechischer Gerichte

Hat sich der Status der ukrainischen Flüchtlinge in der Tschechischen Republik durch die Novelle des Gesetzes „Lex Ukraine“ vom Februar geändert? Und wie hat sich das Oberste Verwaltungsgericht mit der rechtswidrigen und rechtmäßigen Abschiebung eines russischen Staatsbürgers auseinandergesetzt?

Die Novelle zum Lex Ukrajina (Novelle Nr. 24/2025), in Kraft seit dem 11. Februar 2025, die die Lex Ukrajina 65/2022 zum vierten Mal geändert hat, hat einige Änderungen zugunsten der ukrainischen Flüchtlinge gebracht, aber erhebliche Einschränkungen für Staatsbürger der Russischen Föderation. Außerdem hat das Oberste Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik zwei bemerkenswerte Entscheidungen getroffen, die eine zur Beschränkung der Ausweisung eines Staatsbürgers der Russischen Föderation, die andere zur Möglichkeit der Ausweisung eines anderen Staatsbürgers der Russischen Föderation aus geheimgehaltenen Gründen; die zweite Entscheidung wurde von dem Verfassungsgericht der Tschechischen Republik bestätigt.

I. Novelle der Lex Ukrajina – Gesetz Nr. 65/2022

Die Änderungen der Lex Ukrajina bringen einige Erleichterungen und Klarstellungen für ukrainische Flüchtlinge, die seit dem 24. Februar 2022 in die Tschechische Republik gekommen sind; einige kamen schon vorher, deren Status war seither unklar. Das Provisorium der Lex Ukrajina, die total systemwidrig das Gesetz über den temporären Schutz (Gesetz Nr. 221/2003), das durch die Entscheidung der EU vom 4. März 2022 zum ersten Mal relevant wurde, ersetzte, wurde zum Dauerzustand.

Die ukrainischen Flüchtlinge, es sind seit Februar 2022 ca. 350000 in die Tschechische Republik gekommen, sehen ihren Aufenthalt mittlerweile nicht als mehr zeitweilig an, sondern immer mehr als Dauerzustand. Die EU verlängerte dieses Schema jetzt bis Ende März 2026, in Deutschland wurde § 24 Aufenthaltsgesetz bis Anfang Dezember 2025 verlängert, aber die neue deutsche Regierung plant in diesem Bereich weitere Änderungen, insbesondere für neu aus der Ukraine einreisende Flüchtlinge (Verschlechterungen: kein Bürgergeld, sondern Leistungen wie für Asylbewerber, aber keine Residenzpflicht wie Asylbewerber).

Der tschechische Gesetzgeber hat jetzt konsequenterweise für Inhaber eines sog. „temporären Schutzes“ die Möglichkeit in § 7o (nicht Null, sondern Buchst. o) der Lex Ukrajina) geschaffen, auf einen sog. „besonderen langfristigen Aufenthalt“ überzuwechseln. Dieser kann beantragt werden („Bekundung eines Interesses“), wenn der Flüchtling gewisse Voraussetzungen erfüllt, d.h. einen Arbeitsplatz hat, keine Sozialleistungen bezieht, etc. Es werden immer ganze Familien beschieden (Einzelheiten in §§ 7 o, p, q und r der Lex Ukrajina).

Diejenigen Ukrainer, die keinen temporären Schutz haben, sondern eine sog. Duldung (nach § 33 Abs. 1 Buchst. a) des tschechischen Ausländergesetzes Nr. 326/1999; das sind Personen, die vor Inkrafttreten der Lex Ukrajina bis Mitte März 2022 flüchteten oder die sich für den zeitweiligen Schutz nicht qualifiziert haben), können ihren Status offenbar nicht ändern (obwohl der temporäre Schutz gemäß § 4 Abs. 4 Lex Ukrajina als eine sog. Duldung gilt). Aber diejenigen Ukrainer, die in anderen EU-Ländern (und Dänemark, Norwegen, dem UK, der Schweiz, Liechtenstein und Island) einen temporären Schutz haben, können neuerdings nach §7d der Lex Ukrajina jetzt das Land wechseln, d.h. ihren temporären Schutz in der Tschechischen Republik begründen; diese sog. „Sekundärmigration“ war bisher unmöglich, insbesondere in der Tschechischen Republik (solche Anträge wurden gar nicht entgegengenommen). Ein Rechtsschutz für ukrainische Flüchtlinge ist weiterhin (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Lex Ukrajina) in der kafkaesken Tradition der tschechischen Verwaltung pauschal ausgeschlossen. Die Möglichkeiten der Familienzusammenführung nach §§ 50f. des Gesetzes über den temporären Schutz (Nr. 221/2003) war bisher praktisch ausgeschlossen, das wird sich jetzt durch § 7d verbessern.

Zusätzlich regeln §§ 7h bis 7n Lex Ukrajina das neu eingeführte Register von Fahrzeugen mit ukrainischen Kennzeichen – demnach müssen diese nicht umregistriert werden.

II. Keine tschechische Staatsangehörigkeit für russische Staatsangehörige

In §§ 7 x und y Lex Ukrajina sind etwas versteckt Regelungen enthalten, dass laufende Verfahren über die Erteilung der tschechischen Staatsangehörigkeit für russische Staatsangehörige unterbrochen werden und dass keine neuen Anträge auf die Erteilung der tschechischen Staatsangehörigkeit von russischen Staatsangehörigen gestellt werden können, solange das Lex Ukrajina gilt, d.h. bis zum Ende des Angriffskrieges der Russischen Föderation gegen die Ukraine. Systematisch hätten diese Regelungen in das tschechische Gesetz über die Staatsangehörigkeit (Gesetz Nr. 186/2013) eingefügt werden müssen, in der Lex Ukrajina sind sie am falschen Platz (mit der gleichen Logik hätte man diese Regeln auch im tschechischen Abfall- oder Atomgesetz unterbringen können). Schon aus diesem formellen Grunde sind §§ 7 x und y Lex Ukrajina wahrscheinlich verfassungswidrig, was schon geprüft wird.

Materiell sind diese Regeln verfassungsrechtlich höchst umstritten, und das zu recht: zunächst reichen die Instrumentarien des Ausländer- und des Staatsangehörigkeitsgesetzes aus, Anträge von Personen mit einem Sicherheitsrisiko abzulehnen oder solchen Individuen den Aufenthaltstitel zu entziehen und sie dann des Landes zu verweisen (siehe die Entscheidung „Liščenjuk“ (Лищенюк) unter III.); d.h., dieser unklaren Bestimmungen §§ 7x und y hätte es gar nicht bedurft. Zum anderen haben diese einen Effekt einer unechten Rückwirkung, denn sie greifen in schon laufende Verwaltungsverfahren ein.

Gleichzeitig haben die neuen Regeln §§ 7 x und y komplett widersinnige Folgen im Falle von russischen Oppositionellen, denn diese können, ohne sich Gefahr auszusetzen, nicht in die Russische Botschaft nach Prag gehen 0der gar in die Russische Föderation reisen, um Anträge zur Ausbürgerung zu stellen. Die russischen Behörden können aber keine Ausbürgerung bewilligen, wenn keine Einbürgerungszusicherung von tschechischer Seite vorliegt, weil sie damit gegen die UN-Konvention zur Reduzierung der Staatenlosigkeit von 1961 verstoßen würden. Da die tschechischen Verfahren aber unterbrochen sind, können diese nicht zu Ende geführt werden. Was mit russischen Staatsbürgern passiert, die seit 2014 auf der Krim oder in den besetzten Gebieten eingebürgert wurden – oft gegen ihren Willen oder unter extremen Druck seitens der russischen Besatzungsbehörden -, ist ohnehin unklar.

§§ 7 x und y sind daher wahrscheinlich verfassungswidrig, systemwidrig in der Lex Ukrajina enthalten, und von ihrem Inhalt her äußerst kurzsichtig und widersinnig konzipiert.

III. Beschränkung der Ausweisung eines Staatsbürgers der Russischen Föderation und die Möglichkeit der Ausweisung eines anderen Staatsbürgers der Russischen Föderation aus geheimgehaltenen Gründen

Das Oberste Verwaltungsgericht hat am 9. Mai 2024 (am Tag des Sieges, ein russischer Feiertag) in einem sehr gut begründeten Urteil (AZ: 2 Azs 316/2023) eine Ausweisungsentscheidung aufgehoben, die einen russischen Staatsbürger betraf, der aus der Tschechischen Republik ausgewiesen wurde, wobei ihm aber das Land, wohin er auszureisen hätte, nicht mitgeteilt wurde. Der Grund des Urteils, die Ausweisungsverfügung aufzuheben, war die Beachtung des Grundsatzes des „non-refoulement“, d.h. dem Grundsatz, dass durch eine Ausweisung ein Ausländer nicht ausgerechnet in dem Land landen darf (hier: Russische Föderation), aus dem er geflüchtet ist. Denn in diesem Falle hatte der russische Staatsangehörige auch geltendgemacht, dass er zum Wehrdienst eingezogen werden solle. Die Behörde, die zum Innenministerium gehört, hatte argumentiert, darauf komme es nicht an, die Mobilisierung sei abgeschlossen (Stand: Anfang 2023); dass das nicht richtig ist, ist offensichtlich. Das Oberste Verwaltungsgericht hat die Entscheidung der Innenbehörde aufgehoben und zur Neuentscheidung zurückgewiesen.

Im zweiten Fall ging es ebenfalls um eine Ausweisungsverfügung, in diesem Falle ging es um einen russischen Staatsbürger, Nikolaj Liščenjuk (Hиколай Лищенюк), einen Priester der orthodoxen Kirche in Karlsbad (Karlovy Vary) (hier seine Webseite beim Moskauer Patriarchat: https://mospat.ru/ru/department/leaders/lischeniuk/). Ihm wurde seine ständige Aufenthaltsgenehmigung entzogen, und zwar aus geheimgehaltenen Gründen der Sicherheit für den tschechischen Staat. Das Oberste Verwaltungsgericht hatte diese Praxis gebilligt (am 22. Februar 2024. AZ: 9 Azs 30/2024), und das Verfassungsgericht der Tschechischen Republik hat am 12. Juni 2024 (am Staatsfeiertag des Russischen Staates; AZ. III. ÚS 1151/24) diese Praxis bestätigt. Zum einen zeigt dieser Fall, dass §§ 7x und y der Lex Ukrajina unnötig sind, denn schon gegenwärtig kann Ausländern der Aufenthaltstitel entzogen werden, wenn Gründe der Sicherheit dafür sprechen. Im Falle Liščenjuks, so die tschechische Wochenzeitschrift „Respekt“ vom 30. Dezember 2024, sprach offenbar einiges dafür, dass der Priester dem russischen Geheimdienst FSB und dem russischen Militärgeheimdienst GRU die Möglichkeit gegeben hatte, wiederholt die Kirchen- und angrenzenden Gemeinderäume in Karlsbad für geheime Treffen zu nutzen. Dafür spricht auch, dass Liščenjuk im Jahre 2024 einen Orden des Russischen Innenministeriums „für Gegenseitigkeit“ („нагрудный знак МИД России «За взаимодействие»“, auf der angegebenen Webseite aufgeführt) erhalten hat. Insofern ist offensichtlich, dass der Aufenthalt von Ausländern, die ein Risiko sind, bei Vorliegen solcher Gründe beendet werden kann. Was allerdings eher wieder an Kafka als an einen EU-Staat erinnert, ist die Möglichkeit, dass diese Gründe geheimgehalten werden können; damit hat der Ausländer keine Möglichkeit, diese Gründe zu entkräften. Dies ist in einem Rechtstaat höchst ungewöhnlich, noch dazu, dass das verfassungsgemäß sein soll – die Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichts ist in diesem Punkte nicht überzeugend. Denn es hätte sicherlich genügt, diese Gründe nur dem Anwalt und dem Gericht unter der Verpflichtung der Verschwiegenheit mitzuteilen, wenn überhaupt.

Quelle:
Ges. Nr. 24/2025 Slg.
Ges. Nr. 65/2022 Slg.
Entscheidung 2 Azs 316/2023 des Obersten Verwaltungsgerichts

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