Tschechien: Sind arbeitsrechtliche Vereinbarungen, die per E-Mail zugestellt wurden, rechtsgültig?

Das kürzliche Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 27. April 2022 mit dem AZ 21 Cdo 2061/2021 hat einigermaßen Bewegung in die „stehenden Gewässer“ gebracht, was den Fernabschluss von arbeitsrechtlichen Verträgen anbelangt. Meines Erachtens ist das Gericht in diesem Urteil zu einer vielversprechenden Schlussfolgerung gelangt.

Worum ging es in dem fraglichen Fall?

Ein Arbeitgeber hatte seinem Arbeitnehmer aus organisatorischen Gründen gem. § 52 Buchst. c ArbGB-cz gekündigt. Der Arbeitnehmer war mit der Kündigung nicht einverstanden und beharrte auf seiner fortgesetzten Beschäftigung, woraufhin die Parteien in Verhandlungen wg. einer Vergleichsvereinbarung eintraten, die die einvernehmliche Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gegen eine Abfindung in zu vereinbarender Höhe zum Gegenstand hatte. Der Arbeitgeber übersandte das Angebot auf Abschluss der Vergleichsvereinbarung sodann per E-Mail an den Arbeitnehmer, und zwar als Anlage, versehen mit zwei Unterschriften des Führungsgremiums, welches zur Vertretung des Arbeitgebers in Rechtsgeschäften berechtigt war. Der Rechtsvertreter des Arbeitnehmers bestätigte dem Arbeitgeber gegenüber die Annahme und die Zustimmung des Arbeitgebers zum Angebot der Vergleichsvereinbarung; er übersandte den Vertragsentwurf, unterzeichnet vom Arbeitnehmer, zurück an den Arbeitgeber.

Es mag so scheinen, als ob beide Parteien hiermit ihren Willen zum Abschluss der Vergleichsvereinbarung zum Ausdruck gebracht hätten. Allerdings überwies der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht die in der Vereinbarung vereinbarte Abfindung, und zwar auch nicht nach einer entsprechenden Zahlungsaufforderung. Der Arbeitnehmer war damit gezwungen, die Gerichte mit einer Klage auf Zahlung der geschuldeten Abfindung zu bemühen.

Der Arbeitgeber verteidigte sich damit, die Vergleichsvereinbarung sei nicht rechtsgültig geschlossen worden, weil die Bedingungen für die Zustellung von Korrespondenz seitens des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer vermittels Internet oder elektronischen Kommunikationsmitteln (gemäß § 335 ArbGB-cz) nicht erfüllt gewesen seien. Darüber hinaus wandte der Arbeitgeber ein, er gehe Verträge nie elektronisch per E-Mail ein, sondern nur schriftlich.

Sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch das Berufungsgericht befanden aber, die Vergleichsvereinbarung sei gültig geschlossen worden; so gelangte die Rechtssache vor den Obersten Gerichtshof, an welches sich der Arbeitgeber als Revisionsführer gewandt hatte. Der OGH ließ die Revision zu und hielt u.a. fest, die gerichtliche Entscheidung hinge von der Beurteilung einer rechtlichen Frage ab, die bisher nicht in der gerichtlichen Entscheidungspraxis gelöst worden sei – nämlich, ob Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Rahmen eines per Fernabschluss geschlossenen Geschäfts eine rechtsgültige Vereinbarung auch dann eingehen können, wenn für die Zustellung von Korrespondenz (mit einem Angebot zum Vertragsschluss und dessen Annahme) die gesetzlichen Bedingungen gemäß §§ 334 bis 337 ArbGB-cz nicht eingehalten wurden. In seinen Ausführungen weist der OGH u.a. darauf hin, dass das Arbeitsgesetzbuch einer umfassenden Regelung von Rechtsgeschäften ermangelt und nicht vorgibt, auf welche Art und Weise arbeitsrechtliche Verträge zu schließen seien, weswegen für den Abschluss derartiger Verträge notwendigerweise die allgemeinen Bestimmungen des BGB-cz herangezogen werden müssen.

Er hielt weiter fest, die besondere Regelung für die Zustellung von Korrespondenz in arbeitsrechtlichen Beziehungen sei nicht von grundlegender Bedeutung, wenn es um die Beurteilung der Voraussetzungen für das Zustandekommen eines beiderseitigen Rechtsgeschäfts geht, denn der Sinn und Zweck dieser speziellen Regelung im ArbGB-cz für die Zustellung von Dokumenten an den Arbeitnehmer liege darin begründet, dass sichergestellt werden soll, dass das jeweilige Dokument tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Arbeitnehmers gelangt (hier schlägt sich der wichtigste Grundsatz des Arbeitsrecht nieder: der Schutz des Arbeitnehmers).

Der OGH führte des Weiteren aus, die gesetzliche Regelung sehe für eine Verletzung der Zustellregelungen zwar eine Nichtigkeit des jeweiligen (in der Korrespondenz enthaltenen) Rechtsgeschäfts vor; dies bedeutet aber nicht, dass das beiderseitige Rechtsgeschäft nicht auf eine andere gesetzlich vorgesehene Art und Weise hätte zustande kommen können. Wie bereits erwähnt sollen auf den Abschluss arbeitsrechtlicher Vereinbarungen die allgemeinen Regeln des BGB-cz zur Anwendung kommen – und zwar insbesondere die Bestimmungen zum Rechtsgeschäft (§§ 545 ff.) und zum Zustandekommen von Verpflichtungen (§§1721 ff.). Damit schätzte das Gericht – m.E. völlig richtig – die Situation so ein, dass dort, wo der Vertragswille beider Parteien eindeutig und nachweislich ist, ein Beharren auf den speziellen Zustellungsregeln nicht zielführend ist, zumal diese ohnehin den Schutz des Arbeitnehmers zum Ziel haben.

Das Fazit des OGH, wonach die fragliche Vergleichsvereinbarung gültig geschlossen wurde, erfreut insbesondere diejenigen, die im Fernabschluss von arbeitsrechtlichen Verträgen die Zukunft sehen, sowie einen Schritt in die richtige Richtung hin zu einer verstärkten Elektronisierung von Rechtsgeschäften auch im arbeitsrechtlichen Bereich.

Abschließend drängt sich mir doch die Frage auf (die ich an den Gesetzgeber richten möchte), ob die Zeit nicht reif ist für eine Neufassung der rigiden Regeln des Arbeitsgesetzbuchs betreffend die Zustellung von Schriftsätzen vermittels Internet oder E-Mail – freilich unter Wahrung des wichtigsten arbeitsrechtlichen Grundsatzes, nämlich des Schutzes der Arbeitnehmer.

Quelle:
Urteil AZ 21 Cdo 2061/2021 des Tschechischen Obersten Gerichtshofs vom 27.4.2022
Arbeitsgesetzbuch idgF

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