Neue Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs zu den Europäischen Nachlasszeugnissen

Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs (OGH) zu Grundstücksspezifikationen mit weitreichenden Auswirkungen für die Praxis mit Europäischen Nachlasszeugnissen (ENZ)

Die Erfahrungen mit deutschen Europäischen Nachlasszeugnissen (ENZ), die durch die Verordnung 650/2012/EU (EuErbVO) eingeführt wurden und für Todesfälle seit dem 17. August 2015 ausgestellt werden können, habe ich in einem ersten Artikel behandelt („Eintragung von Grundstücken in einem Europäischen Nachlasszeugnis aus Deutschland – Die ersten praktischen Erfahrungen mit Europäischen Nachlasszeugnissen aus Deutschland in der Tschechischen Republik sind ernüchternd.“ vom 20. Juli 2018). Es hat sich, nicht zuletzt durch Reaktionen von Lesern, gezeigt, dass es hier schwerwiegende Probleme in der Tschechischen Republik gibt, aber auch in Österreich, der Slowakei und Ungarn. Noch nicht alle Probleme wurden durch die Rechtsprechung gelöst.

Die Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofes (OGH, Urteil vom 15. Mai 2018, AZ: 5Ob35/18k) betrifft die zwischen Deutschland und Österreich, aber mutatis mutandis auch der Tschechischen Republik, Ungarn und der Slowakei, zentrale Frage, ob ENZ aus Deutschland, die keine Spezifizierung der Grundstücke enthalten, für eine Umschreibung von österreichischen (bzw. tschechischen, slowakischen oder ungarischen) Grundstücken ausreichend sind.

„Wesentliche“ Eintragung in das Kataster

In fast allen Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns sind, wie weiland von Maria Theresia in den großen Reformen ab dem Jahr 1750 als „Steuerkataster“ als Verzeichnis der Immobilien eingeführt, die Spezifikationen der Grundstücke wesentlich für deren Umschreibung oder Eintragung. In den in Deutschland ausgestellten ENZ fehlen diese aber oft, insbesondere wegen der Praxis bayrischer Gerichte (Urteile der OLG München und OLG Nürnberg aus dem Jahre 2017, an denen sich viele deutsche Amtsgerichte orientieren).

Einen solchen Fall hat der OGH in Wien jetzt entschieden: vier deutsche Erben begehrten die Umschreibung von in Österreich gelegenen Grundstücken mit einem deutschen ENZ, das aber keine Bezeichnung der Grundstücke enthielt. Nach der Meinung des OGH ist eine Umschreibung ohne eine Spezifierung von Grundstücken im ENZ möglich, und dies wegen des Vorrangs der EuErbVO vor dem nationalen Katasterrecht.

Im Einzelnen begründet der OGH dieses Ergebnis mit der österreichischen Besonderheit, dass „ …dass nach dem formellen (sc. österreichischen) Registerrecht die konkrete Bezeichnung der Liegenschaft im Europäischen Nachlasszeugnis (bzw. dessen Abschrift) keine zwingende Voraussetzung für eine Einverleibung ist.

Der Inhalt eines solchen Zeugnisses richtet sich ausschließlich nach Art 68 EuErbVO, der die darin aufzunehmenden Angaben abschließend regelt und die Bezeichnung der Liegenschaft ebenfalls nicht fordert, sodass allein das Fehlen dieser Angabe die Bewilligung der Einverleibung auf der Grundlage eines solchen Zeugnisses nicht hindert. Der Inhalt des von den Antragstellern vorgelegten Zeugnisses ist damit in formaler Beziehung unbedenklich und lässt auch in materiell-rechtlicher Hinsicht keine Zweifel aufkommen, weil damit die (widerlegliche) Vermutung verknüpft ist, dass ihre im Zeugnis ausgewiesene Rechtsstellung tatsächlich besteht.“ Entscheidend war, dass das ENZ die Rechtsstellung der Erben klar ausdrückte und niemand deren Rechtsstellung anzweifelte.

Wer/Was setz sich durch?

Eine Vorlage zum EuGH nach Art. 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der EU) war für den OGH offenbar kein Thema, weil eine Vorschrift im östereichischen Grundbuchrecht die Eintragung auch ohne Spezifikation ermöglichte. Für die Praxis in der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn ist die Entscheidung bedeutend, weil sie klarstellt, dass das ENZ zur Eintragung schon dann ausreicht, wenn es rechtmäßig, d.h., auch ohne Spezifikation von Grundstücken, ausgestellt wurde; aber Entscheidungen des OGH sind seit 100 Jahren in Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik nicht mehr bindend. Leider hat der EuGH, dessen Entscheidungen für Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik sehr wohl bindend sind, die Frage, ob das ENZ dem formellen nationalen Kataster- oder Registerrecht vorgeht, noch nicht entschieden. Erst dann gäbe es für die Praxis der tschechischen, slowakischen und ungarischen Katasterämter keine Grundlage mehr, ENZ aus Deutschland wegen des nationalen Katasterrechts zurückzuweisen.

Die Alternative ist derzeit für Erben leider nur die, entweder gegen tschechische, slowakische oder ungarische Ablehnungen eines tschechischen, slowakischen oder ungarischen Katasteramts zu klagen, oder in Deutschland brauchbare ENZ, d.h. solche mit Spezifikationen der Grundstücke, zu erwirken. Außerhalb von Bayern und Thüringen ist dies möglich, aber oft sehr zeitraubend und kostspielig. Zu beachten ist ebenfalls, dass ein ENZ nur sechs Monate gilt; nur in Ausnahmefällen kann diese Gültigkeit verlängert werden (Art. 70 Abs. 3 EuErbVO).

Quelle: Verordnung 650/2012/EU (EuErbVO)

 

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