Neue Möglichkeiten für jüdische Emigranten aus Deutschland und Österreich sowie neue Hindernisse für Emigranten aus der ehemaligen Tschechoslowakei

In Deutschland hat die Bundesregierung eine Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) auf den Weg gebracht. In Österreich haben jüdische Emigranten und deren Nachkommen seit September 2020 mehr als 15000 Anträge gestellt. Aber in der Tschechischen Republik… 

Deutschland

In Deutschland hat die Bundesregierung eine Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) auf den Weg gebracht, das es mehr jüdischen Emigranten und deren Nachkommen ermöglichen wird, einen Antrag auf die Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft zu stellen, und zwar bis Mitte 2031. In Österreich haben jüdische Emigranten und deren Nachkommen seit September 2020 mehr als 15000 Anträge gestellt, aber in der Tschechischen Republik ergeben sich für diese Personen neue Probleme, trotz einer Liberalisierung seit September 2019, weil die tschechischen Behörden das sog. Beneš-Dekret Nr. 33/1945 Sb. vom 2. August 1945 auf jüdische Überlebende des Holocaust, die deutsche Muttersprachler waren, anwenden.

Die Bundesregierung hat sich auf einen Gesetzesvorschlag zur Änderung des StAG geeinigt, der am 26. März 2021 auf der Webseite des Bundesrats veröffentlicht wurde (im Weiteren nur „Gesetz zum StAG“). Dieses Gesetz zum StAG soll das Unrecht der Vergangenheit bewältigen und die deutsche Staatsbürgerschaft restituieren, indem den Antragstellern im StAG „gesetzliche Ansprüche zur staatsangehörigkeitsrechtlichen Wiedergutmachung“ gegeben werden.

Zum ersten Mal seit 1949 sollen Bestimmungen im StAG das Prinzip des Art. 116 Abs. 2 GG ausfüllen, das „früheren deutschen Staatsangehörigen und deren Abkömmlingen“, denen die deutsche Staatsbürgerschaft „zwischen dem 30. Januar 1933 und 8. Mai 1945 aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist“, deren Rückgabe garantiert (offenbar soll das GG im Rahmen der Änderung von Art. 3 Abs. 3 GG in diesem Punkte nicht geändert werden). Dieses schwierige Prinzip zeitigte viele Probleme in der Praxis der Restitution. Das Gesetz zum StAG soll auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts reagieren – insbesondere dessen Urteil vom 20. Mai 2020 (AZ: 2 BvR 2628/18) -, die neue Praxis festlegen und die Erlasse des Bundesministeriums des Inneren (BMI) ersetzen (zur gleichen Thematik cf. die Artikel hier, hier und hier).

Das Gesetz zum StAG schafft eine neue Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft auf der Grundlage einer Erklärung nach einem neuen (bzw. erweiterten) § 5 StAG: danach kann ein Kind, das nach dem 23. Mai 1949, als das GG in Kraft trat, Eltern geboren wurde, die zum Zeitpunkt der Geburt keine deutschen Staatsbürger waren, eine Erklärung abgeben, die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen zu wollen, weil das Kind die deutsche Staatsbürgerschaft nicht qua Geburt erwerben konnte. Diese Erklärung muss innerhalb von 10 Jahren nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum StAG erfolgen. Somit läuft diese Frist bis Mitte 2031, was mehr als 98 Jahre nach Hitlers Machtergreifung und mehr als 86 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs sein wird – ein sehr großzügiger Zeitrahmen.

Zusätzlich führt § 15 des Gesetzes zum StAG eine neue Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft für Personen ein, die „Verfolgungsmaßnahmen aus den in Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG aufgeführten Gründen in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945“ ausgesetzt waren, aber die keine Möglichkeit haben, die deutsche Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen, und zwar in den folgenden Fällen:
– Aufgabe oder Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft vor dem 26. Februar 1955 (Nr. 1),
– Ausschluss von deren Erwerb durch Eheschließung, Legitimation oder Sammeleinbürgerung deutscher Volkszugehöriger (Nr. 2),
– keine Einbürgerung nach Antragstellung oder allgemeiner Ausschluss von einer Einbürgerung (Nr. 3), oder
– Aufgabe oder Verlust eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland, wenn dieser bereits vor dem 30. Januar 1933 oder als Kind auch nach diesem Zeitpunkt begründet worden war (Nr. 4) und
– wenn der Antragsteller keine Vorstrafen hat und weitere Bedingungen erfüllt (gilt auch für die Erklärung nach § 5 Gesetz zum StAG), aber es gibt keine Bedingung des Nachweises von Deutschkenntnissen.

Weiterhin gibt es keine Frist für Anträge nach § 15 StAG. Und es gibt eine weitere Privilegierung: beide Gruppen von Antragstellern, d.h. nach § 5 und § 15 StAG, unterliegen nicht dem sog. Generationenschnitt gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 StAG, dieser wäre auch wegen Art. 116 Abs. 2 GG verfassungswidrig. Als eine generelle Regel, die im Jahre 2000 bei der großen Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eingeführt wurde, bedeutet der Generationenschnitt, dass Kinder solcher Antragsteller, die wie ihre Eltern im Ausland und beide im neuen Jahrtausend, d.h. beginnend am 1. Januar 2000, geboren wurden, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht erwerben, es sei denn, dass deren Geburt innerhalb eines Jahres nach der Geburt bei der zuständigen deutschen Behörde im In- oder Ausland registriert worden ist. Bis zum Jahre 2020 war dies de facto noch nicht relevant, weil die Eltern selbst nach dem 1. Januar 2000 geboren sein sollten, aber dies wird jetzt möglich.

Im Ergebnis erhalten jetzt die meisten Fallgruppen von Antragstellern, die bisher nicht unter Art. 116 Abs. 2 GG fielen, sondern die nur teilweise von den Erlassen des BMI umfasst waren, einen Anspruch entweder nach § 5 oder § 15 Gesetz zum StAG. Dies betrifft die nachfolgenden Fallgruppen:
– Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft wegen einer früheren oder nachfolgenden Einbürgerung zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 oder später (z.B.: ein Emigrant wurde als US-Bürger im Jahre 1940 eingebürgert, insofern verlor er die deutsche Staatsbürgerschaft wegen des damaligen § 25 RuStAG, bevor er die deutsche Staatsbürgerschaft am 25. November 1941 wegen der 11. VO zum Reichsbürgergesetz verloren hätte);
– deutsche Frauen, die nach 1933 einen Ausländer heirateten, verloren die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch nach dem damaligen § 17 Nr. 6 RuStAG (diese Regel galt bis zum 31.3.1953), bevor sie die deutsche Staatsbürgerschaft 1941 verloren hätten, oder sie hätten sie deswegen ohnehin bis 31.3.1953 verloren;
– keine realistische Einbürgerungsmöglichkeit vor dem 30. Januar 1933 oder eine Ablehnung einer Einbürgerung zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 (z.B.: ein Jude mit polnischem Pass, aufgewachsen in Deutschland, konnte praktisch keinen deutschen Pass erhalten, schon nicht in der Weimarer Republik, nach 1933 war eine Einbürgerung qua Gesetz verboten);
– Ausschluss der Einbürgerung von deutschsprachigen Personen jüdischer Herkunft in Sammeleinbürgerungen in den besetzten Gebieten (z.B. deutsche Volkszugehörige im Sudetenland wurden automatisch nach dem 1. Oktober 1938 eingebürgert, im Memelgebiet nach dem 15. März 1939, in der Freien Stadt Danzig nach dem 1. September 1939, und nach dem 15. März 1939 auch in dem Protektorat Böhmen und Mähren und später in anderen besetzten Gebieten). Juden im Sinne der nazistischen Gesetzgebung waren aber davon ausgeschlossen. Diese bedeutete, dass diese Juden zwar den Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, aber niemals deutsche Staatsbürger, also nie unter Art. 116 Abs. 2 GG berechtigt waren, einen Antrag zu stellen.

Das Gesetz zum StAG enthält keine Übergangsbestimmungen. Für solche Anträge, die bereits gestellt, aber noch nicht entschieden sind (geschätzt: ca. 20-30000 Fälle beim BVA), kann erwartet werden, dass diese den günstigeren Bestimmungen unterliegen und automatisch auf diese übergeleitet werden. Insofern muss mit der Stellung von Anträgen nicht gewartet werden.

Alle Anträge nach § 5 und § 15 StAG sind von der Antragsgebühr befreit. Die deutsche Regierung erwartet zwischen 1500 (erstes Szenario) und 5000 Anträge (zweites Szenario) jedes Jahr. Welches Szenario realistischer ist, schwer zu sagen, aber der Effekt des Brexits und die Attraktivität der EU-Staatsbürgerschaft, die durch die deutsche Staatsbürgerschaft vermittelt wird, führte zu mehr erfolgreichen Einbürgerungen von Emigranten seit 2016: mehr als ca. 10000 Anträge wurden in jedem der letzten fünf Jahre gestellt. Das Bundesverwaltungsamt in Köln (BVA) ist zuständig für Anträge aus dem Ausland. Aber nur erfolgreiche Anträge werden in dieser Statistik gezählt. Erfolgreiche Anträge von Antragstellern mit Wohnsitz im Inland sind in dieser Statistik auch nicht enthalten, denn diese fallen in die Zuständigkeit der Landesbehörden (wahrscheinlich sind diese Zahlen nicht hoch, aber sicherlich ein paar hundert jedes Jahr).

Österreich

Gleichzeitig haben die Österreichischen Botschaften – bzw. der Magistrat 35 in Wien – mehr als 15000 Anträge auf Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft erhalten, seit die Änderungen im österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz im September 2020 in Kraft traten. Solche Emigranten, die Österreich bis zum 15. Mai 1955 (Datum der Unterzeichnung des Staatsvertrages) aus politischen oder rassischen Gründen verlassen haben, können einen Antrag stellen. Das ist die einzige Frist, aber auch eine Emigration schon im Jahre 1934 berechtigt die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft – obwohl der Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich erst am 15. März 1938 erfolgte.

Tschechische Republik

Im Gegensatz dazu, begegnen Emigranten aus der Tschechoslowakei und deren Nachkommen unerwarteten alten bzw. neuen Problemen: diese können zwar einen Antrag auf tschechische Staatsbürgerschaft durch eine Erklärung seit September 2019 stellen, und zwar auf der Grundlage von § 31 Abs. 1 und 3 des tschechischen Staatsbürgerschaftsgesetzes (Gesetz Nr. 186/2013 Sb.), aber nur dann, wenn sie die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nicht auf der Grundlage des Dekrets Nr. 33/1945 Sb. verloren haben. Dieses Verfassungsdekret, unterzeichnet am 2. August 1945, am letzten Tag der Potsdamer Konferenz, von dem tschechoslowakischen Vor- und Nachkriegspräsidenten Dr. Edvard Beneš, führte zur Entrechtung und Vertreibung von mehr als drei Millionen tschechoslowakischen Staatsbürgern deutscher und ungarischer Volkszugehörigkeit aus der damaligen Tschechoslowakei und wurde quasi mechanisch auf alle Personen angewandt, deren Muttersprache Deutsch oder Ungarisch war. In einer etwas bizarren Auslegung geht das Tschechische Innenministerium davon aus, dass dieses Dekret noch im Jahre 2021 gültig ist. Als Ergebnis fallen formell viele deutschsprachige Juden, die den Holocaust überlegt haben, unter dieses Dekret, damit Anträge auf tschechische Staatsbürgerschaft auch ihrer Nachkommen verunmöglichend. Es ist sehr fragwürdig für einen EU-Mitgliedstaat, diese diskriminierenden Bestimmungen noch 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weiter anzuwenden. Zusätzlich, die Tschechische Republik widerspricht damit ihrer Erklärung aus dem Jahre 2002 – diese erfolgte von EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen und dem damaligen Tschechischen Premierminister Miloš Zeman, heute Tschechischer Staatspräsident, dass dieses Beneš-Dekret keine Wirkung mehr nach dem EU-Beitritt habe und „erloschen“ sei. Allerdings war dieses im Jahre 2013 im § 31 Abs. 1 des tschechischen Staatsbürgerschaftsgesetzes quasi durch die Hintertür durch einen einfachen Verweis wieder eingeführt worden.

Quelle:
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2021/0201-0300/249-21.pdf;jsessionid=82BBBBC37A7D075E778B2EA823D9F52A.1_cid382?__blob=publicationFile&v=1

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