Litauen: Deutsches Erbrecht vs. Litauisches Grundbuchrecht – Die Probleme häufen sich

Mit der Verordnung Nr. 650/2012 (EuErbVO) sollten grenzüberschreitende Erbfälle eigentlich vereinfacht werden, indem das Erbverfahren nur noch in einem einzigen Mitgliedsstaat durchgeführt werden sollte. Deutsche Erbfälle, die in Litauen belegene Immobilien betreffen, führen jedoch zu zahlreichen bisher ungelösten Konflikten.

Vor Inkrafttreten der EuErbVO wurden in grenzüberschreitenden Erbfällen mehrere Erbverfahren in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten durchgeführt. Hatte der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt beispielsweise in Deutschland und vererbte er eine litauische Immobilie, wurde sowohl in Deutschland als auch in Litauen ein Erbverfahren nach dem lokalen Recht eröffnet. Ein deutscher Erbe musste im beschriebenen Fall sein Erbe in Litauen nach litauischem Recht geltend machen – mangels Sprach- und Rechtskenntnissen war dies häufig aufwendig und kostenintensiv.

Nach der EuErbVO sollte dieses Prozedere wesentliche Erleichterungen erfahren. Das Erbverfahren würde im vorliegenden Fall lediglich in Deutschland, nach deutschem Recht durchgeführt werden. In Litauen kann kein zweites Erbverfahren eröffnet werden. Allerdings wäre gemäß Art. 1 (2) lit. l) EuErbVO nach wie vor eine Eintragung des Eigentümerwechsels im litauischen Grundbuch nach litauischem Recht erforderlich.

Damit der Erbe dem Grundbuchamt hierfür seinen Status nachweisen kann, führte Art. 62 (1) EuErbVO das Europäische Nachlasszeugnis ein, das zur Verwendung in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird und in diesem als Nachweis der Rechtsnachfolge Wirkung entfaltet.

Problem 1: Ist das Europäische Nachlasszeugnis verpflichtend?

Gemäß Art. 62 (2) EuErbVO ist die Verwendung dieses Zeugnisses eigentlich nicht verpflichtend (vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.06.2018 – C 20/17). Der Erbe hat gemäß Art. 60 (1) EuErbVO auch die Möglichkeit, andere Urkunden vorzulegen. So entfaltet eine in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich die gleiche formelle Beweiskraft wie im Ursprungsmitgliedstaat (Art. 59 (1) EuErbVO). Eine Person, die eine öffentliche Urkunde in einem anderen Mitgliedstaat verwenden möchte, kann die Behörde, welche die öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat errichtet, ersuchen, eine Bescheinigung gemäß Anhang 2 Formblatt II der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014 auszustellen. Diese muss dann gemeinsam mit der Urkunde im anderen Mitgliedsstaat vorgelegt werden.  

Zwar sieht die EuErbVO diese Möglichkeit ausdrücklich vor, dennoch verlangt das litauische Grundbuchamt in Erbfällen für die Eintragung des neuen Eigentümers bisher – wohl auch aufgrund mangelnder Praxis – stets die Vorlage eines Europäischen Nachlasszeugnisses (Art. 22 Abs. 1 Ziffer 5 Gesetz über das Immobilienregister der Republik Litauen).

Problem 2: Ausweis der konkreten Immobilie im Europäischen Nachlasszeugnis

Darüber hinaus verlangt das litauische Grundbuchamt zwingend den Ausweis der konkreten Immobilie im Zeugnis, welcher diese eindeutig identifizierbar macht. Im Einzelnen verlangt es die Angabe der Adresse sowie der sogenannten Unikalus-Nr. (einmalige Nummer der Immobilie). Ohne diese Angaben verweigert das Grundbuchamt bisher jegliche Eintragung.

Hierbei besteht ein derzeit ungelöster Konflikt zwischen deutschem Erbrecht und litauischem Grundbuchrecht. Grund ist die Praxis deutscher Nachlassgerichte, die (wie beim deutschen Erbschein) nicht die Immobilie in das Europäische Nachlasszeugnis eintragen, sondern lediglich die Erbenquote (OLG München, Beschluss v. 12.09.2017 – 31 Wx 275/17). Eine Angabe der Immobilie, wie sie das litauische Grundbuchrecht fordert, erfolgt auf diese Weise nicht. Eine Eintragung des Eigentümerwechsels ohne Angabe der Immobilie im Nachlasszeugnis ist nach derzeitigem Stand nicht möglich.

Problem 3: Sonderfall Vermächtnis

Ein Problem anderer Natur existiert im Falle des Vermächtnisses. Hierbei spricht der Erblasser dem Vermächtnisnehmer im Testament einen bestimmten Vermögenswert zu, den er zusätzlich oder unabhängig von dem ihm zustehenden Erbteil erhalten soll. Klassischer Fall ist das Vermachen einer bestimmten Immobilie.

In Litauen ist dieses Vermächtnis als sogenanntes Vindikationslegat ausgestaltet, d.h. der Vermächtnisnehmer erhält (ähnlich den Erben) unmittelbare Berechtigung am Nachlass. In Deutschland ist das Vermächtnis hingegen als Damnationslegat ausgestaltet, d.h. der Vermächtnisnehmer erhält keine unmittelbare Berechtigung am Nachlass, sondern lediglich einen Anspruch gegen die Erben, ihm die vermachte Immobilie zu übertragen. Die eigentumsrechtliche Übertragung selbst erfolgt erst per notariell beurkundetem Vermächtniserfüllungsvertrag.

Der Vermächtnisnehmer hätte (im Vergleich zu den Erben) den Vorteil, dass in sein Europäisches Nachlasszeugnis die Immobilie eintragungsfähig wäre (da er nicht nur einen Anteil erbt, sondern die konkrete Immobilie vermacht bekommt) und das deutsche Nachlassgericht diese nach deutschem Recht auch eintragen könnte.

Das Problem ist hierbei jedoch, dass der Vermächtnisnehmer aus Sicht des deutschen Rechts nicht antragsberechtigt wäre. Nach Art. 63 (1) EuErbVO dient das Zeugnis lediglich zur Verwendung durch Vermächtnisnehmer „mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass”. Aus Sicht deutscher Nachlassgerichte hätte ein Vermächtnisnehmer nach deutschem Recht jedoch lediglich eine mittelbare Berechtigung am Nachlass, da er aufgrund des Damnationslegats nur den bloßen Anspruch erhält. Dieser Anspruch muss erst noch geltend gemacht und per Vermächtniserfüllungsvertrag erfüllt werden.

Ziel der Formulierung „unmittelbarer Berechtigung am Nachlass” in der EuErbVO war es eigentlich, lediglich Nachlassgläubiger von der Antragstellung ausschließen. Nach deutschem Recht gelten Vermächtnisnehmer als Nachlassgläubiger. Streng nach der EuErbVO sind sie es jedoch nicht – so werden Vermächtnisnehmer und Nachlassgläubiger in der EuErbVO stets gesondert behandelt.

Symptomatisch für die Gesamtsituation ist auch, dass sich die deutsche Version des Antrags auf Ausstellung des Nachlasszeugnisses (Anhang 4 Formblatt IV der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014) und Art. 63 (1) der EuErbVO sowie das Zeugnis-Formblatt (Anhang 5 Formblatt V der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014) widersprechen. Entgegen der EuErbVO und der Formulierung im Zeugnis-Formblatt ist im Antragsformular nicht von einem Vermächtnisnehmer mit unmittelbarer Berechtigung am Nachlass, sondern von einem Vermächtnisnehmer mit unmittelbaren Ansprüchen aus dem Nachlass (Ziffer 4.2) die Rede. Der Vermächtnisnehmer hätte nach deutschem Erbrecht zwar keine unmittelbare Berechtigung am Nachlass, aber einen unmittelbaren Anspruch aus dem Nachlass.

Es besteht hier die Frage, ob im Antragsformular zum Europäischen Nachlasszeugnis lediglich ein Übersetzungsfehler geschehen ist oder ob diese Formulierung bewusst gewählt wurde – beispielsweise um die Eintragung des Vermächtnisses in Deutschland zu ermöglichen. Eine unmittelbare Berechtigung könnte nach europäischer Auslegung zum Beispiel auch entstehen, sobald der Vermächtniserfüllungsvertrag geschlossen wurde.

Geht man allein nach dem Wortlaut der EuErbVO i.V.m. Ziffer 4.2 des Antragsformulars (Anhang 4 Formblatt IV der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1329/2014), könnte ein Vermächtnisnehmer, sofern er gleichzeitig auch Erbe ist, den Antrag in seiner Stellung als Erbe stellen. Antragsberechtigt wäre er als Erbe gemäß 63 (1) der EuErbVO. Da er einen unmittelbaren Anspruch aus dem Nachlass hat, könnte er unter 4.2 die Immobilie (einschließlich aller für die Eintragung erforderlichen Daten) eintragen lassen. Aufgrund der fehlenden Praxis ist fraglich, ob die deutschen Nachlassgerichte dieser Argumentation folgen würden.

Der EuGH hatte mit Urteil vom 12. Oktober 2017 in der Rechtssache C-218/16 entschieden, dass Art. 1 Abs. 2 lit. l  EuErbVO so auszulegen sei, dass er verhindern soll, dass die Eintragung der Immobilie in einem Staat mit Damnationslegat nicht eingetragen wird, nur weil dessen Rechtsordnung das Institut des Vindikationslegats nicht kennt. Im vorliegenden Fall liegt jedoch die umgekehrte Situation vor. Das Urteil des EuGH schafft insoweit keine Klarheit.

Fazit

Mangels Praxis und höchstrichterlicher Entscheidungen gibt es bisher keine abschließenden Lösungen für die genannten Probleme. Die hohen Kosten, welche die Antragstellung eines Europäisches Nachlasszeugnisses in Deutschland mit sich bringt, schrecken bisher viele Erben und Vermächtnisnehmer ab, etwaige Versuche zu unternehmen. Eigentlich wären die Behörden beider Länder zur Kooperation verpflichtet. Die das Zeugnis ausstellende Behörde, also das deutsche Nachlassgericht, sollte die Formalitäten beachten, die für die Eintragung von Immobilien in dem Mitgliedstaat, in dem das Register geführt wird (also Litauen), vorgeschrieben sind (Erwägungsgrund 68 der Verordnung (EU) Nr. 650/2012). Die EuErbVO sieht hierfür eindeutig einen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über diese Formalitäten vor. In der Praxis findet diese Kooperation jedoch bisher nicht statt, was zu zahlreichen Erbverfahren in der Schwebe führt.

Mehr noch deutet sich an, dass die Behörden in beiden Ländern Versuche jedweder Art erst einmal ablehnen würden. Keine der Behörden auf unterer Ebene scheint dieses „heiße Eisen” anfassen zu wollen und beide warten auf Anpassung der EuErbVO bzw. ein Urteil des EuGH. Es besteht zudem auch das Risiko, dass die zuständigen Gerichte in beiden Ländern ein Interesse daran haben, einen solchen Fall bis zum EuGH „durchzureichen”. Ähnliche Erfahrungen gibt es u.a. auch in der Tschechischen Republik (Der Kampf um die Europäischen Nachlasszeugnisse (ENZ) wird in Olmütz und in Luxemburg fortgesetzt, Anfänge eines gemeinsamen Kampfs für ein praxistaugliches Europäisches Nachlasszeugnis, Neue Rechtsprechung des österreichischen Obersten Gerichtshofs zu den Europäischen Nachlasszeugnissen, Eintragung von Grundstücken in einem Europäischen Nachlasszeugnis aus Deutschland). Es stehen deutsches Damnationslegat und ausländisches Vindikationslegat in Konkurrenz; gleichzeitig wurden die Grundbuchregeln in vielen Ländern (wie Litauen) nicht an die EuErbVO angepasst.

Quelle: Verordnung (EU) Nr. 650/2012, EuGH, Urt. v. 21.06.2018 – C 20/17, Gesetz über das Immobilienregister der Republik Litauen, OLG München, Beschluss v. 12.09.2017 – 31 Wx 275/17

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