Für ein Kind zu kämpfen oder „sein Ziel zu erreichen“ bedeutet nicht, zu gewinnen

Nach einer Scheidung oder Trennung beginnt oft ein erbitterter Kampf zwischen den Eltern über das Sorgerecht für minderjährige Kinder. Dieser Kampf kann freilich nicht gewonnen werden – im Gegenteil, für viele birgt er die größte Niederlage ihres Lebens. Dieser Beitrag befasst sich näher mit der Frage, was ein „Sieg“ in dieser Art von Rechtsstreit eigentlich bedeutet. 

Unsere Mandanten treten mit den verschiedensten Rechtsstreitigkeiten an uns heran – und alle wollen sie ihren Streit gewinnen: völlig logisch. Aus demselben Grund kommen Mandanten im familienrechtlichen Bereich auf uns zu. Sie wollen ihr Ziel erreichen, sei es das alleinige Sorgerecht, eine gemeinsame elterliche Sorge, hohe Unterhaltungszahlungen oder umgekehrt niedrige Unterhaltszahlungen – Hauptsache, der „Streit“ wird gewonnen. Rechtstheoretisch liegt gar kein Streit vor, denn das Verfahren über die Ausübung der elterlichen Sorge gehört zu den sog. nichtstreitigen Verfahren, aber in der Praxis kommt der Verfahrensablauf oft einem offenen Krieg gleich. Selten machen sich die Betroffenen klar, dass es kein Sieg ist, im gerichtlichen Verfahren „Recht zu bekommen“.

Das Sorgerechtsverfahren ist insofern besonders, als sämtliche Parteien, die Eltern ebenso wie das Gericht, bei der Suche nach einer Lösung primär die Interessen des minderjährigen Kindes im Auge behalten sollen – ein Kind, welches seine Interessen oft selbst noch gar nicht kennt und nicht ausformulieren kann. Wer soll dann diese Interessen bestimmen?

Sind die Eltern fähig, zu einer Einigung zu kommen, dann sind sie es, die das Kindsinteresse bestimmen – im Wege der gütlichen Vereinbarung über das Sorgerecht. Sie entscheiden, wer das Kind erzieht und wann, und wer für das Kind sorgt und wann – und sie können diese ihre Entscheidung im Laufe des Heranwachsens des Kindes ändern und anpassen, um dem Kind zu entsprechen. Das Kind hat in einem solchen Fall getrennt lebende Eltern, die aber noch immer in der Lage sind, seinen Bedürfnissen und Interessen Rechnung zu tragen. Die Beziehung dieser drei Personen ist sehr viel gelassener, weil es den Eltern gelang, sich zu einigen und gemeinsam Spielregeln für sich selbst und für ihr Kind aufzustellen, und zwar vom ersten Moment an. Dies – allein dies – verdient im Familienrecht, ein Sieg genannt zu werden.

Schaffen es die Eltern nicht, sich bezüglich der Sorge um ihr Kind zu einigen, dann beginnt die echte Schlacht, die in eine gerichtliche Anordnung „von oben“ gipfelt, in der klargestellt wird, wie die Sorge auszusehen hat. Damit entscheidet über die besten Interessen des Kindes jemand, der das Kind überhaupt nicht kennt. Das Verfahren kann sich über Jahre hinziehen, während derer keine feste Sorgeregelung existiert – bestenfalls eine einstweilige Verfügung, die aber den Verfahrensausgang nicht vorwegnehmen darf. An der herrschenden Unsicherheit und dem Fehlen jeglicher Regelung entzünden sich dann weitere Streitigkeiten zwischen den Eltern – die Hauptleidtragenden sind selbstverständlich die Kinder.

Aber auch mit dem Erlass eines Urteils ist noch lange nichts gewonnen, und zwar auch nicht auf Seiten desjenigen Elternteils, der im Verfahren „seinen Willen bekommen hat“ (soweit dies überhaupt möglich ist). Der andere Elternteil legt nämlich fast immer Berufung gegen das Urteil ein, so dass die Sorgerechtsentscheidung keine Rechtskraft erlangt – für das Alltagsleben ändert sich damit in diesem Moment nichts, so als ob gar kein Urteil ergangen wäre. Erst mit der Entscheidung des Berufungsgerichts (sofern dieses die Sache nicht ans erstinstanzliche Gericht zur weiteren Verhandlung zurückverweist) werden feste Regeln für die elterliche Sorge vorgegeben. Das Kind ist aber mittlerweile herangewachsen, also haben sich die Umstände geändert, also kann und wird der unzufriedende Elternteil beim Kreisgericht Antrag auf Änderung der Sorgerechtsregelung stellen. Die Eltern hätten ihr Kind auf dem kostbaren, nie wiederkehrenden Weg des Erwachsenwerdens begleiten können, verbringen aber anstelle dessen Zeit vor Gericht und wetteifern darum, welche schmutzige Wäsche im Kampf gegen den oder die Ex noch hervorgezogen werden könnte. Wahrhaftig kein Gewinn – selbst wenn das Gericht dem ursprünglichen Antrag des einen oder anderen Elternteils stattgeben sollte.

Eine Einigung kann erzielt werden, selbst wenn die Situation hoffnungslos erscheint – und dass sie erzielt wird, ist wichtig, weil nur so eine sofortige, endgültige Sorgerechtsentscheidung erlangt werden kann, ohne langwierige Gerichtsverfahren, ohne dass schmutzige Wäsche gewaschen wird, ohne, dass der lange Weg durch die Instanzen beschritten wird. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass der Abschluss einer noch so rudimentären Vereinbarung oft dazu führt, dass sich die Beziehung zwischen den Eltern beruhigt und ein relativ stabiles Erziehungsumfeld geschaffen werden kann. Wir sind darum bemüht, unseren Mandanten zu vermitteln, dass nur durch den Abschluss einer Elternvereinbarung sofort Regeln für die Kindessorge geschaffen werden können, um nicht in Unsicherheit zu leben. Besteht der Mandant darauf, dass die Regeln anders aussehen müssen, so steht nach einer gewissen Zeit immer der Weg offen, Antrag auf Änderung des Sorgerechts zu stellen und die Vereinbarung gerichtlich anpassen zu lassen. Oft geschieht es aber, dass die Eltern die einmal vereinbarte Regelung beibehalten. Zwar wollten sie ursprünglich eine andere Sorgeregelung; sie haben aber zwischenzeitlich gelernt, zusammenzuarbeiten und bedarfsnahe Anpassungen selbst zu treffen. Besagter Antrag wird dann gar nicht mehr gestellt, weil sie mit der Einigung letztlich zufrieden sind.

Falls Sie also wegen Ihrer Kinder in den Kampf ziehen wollen, sollten Sie auch diejenigen Gesichtspunkte bedenken, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Oft stellt sich heraus, dass selbst die schlechteste Vereinbarung besser ist als das beste Urteil.

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