Europäische Nachlasszeugnisse (ENZ) in der deutschen und tschechischen Praxis: praktische Folgen der Entscheidung des EuGH C-354/21

Fast zwei Monate sind nach dem Urteil des EuGH vom 9.3.2023 in der Sache C-354/21 vergangen, aber bisher gibt es keine Reaktionen von Katasterämtern in der Tschechischen Republik oder Litauen, auch nicht von Nachlassgerichten oder Grundbuchämtern in Deutschland.

Fast zwei Monate sind nach dem Urteil des EuGH vom 9.3.2023 in der Sache C-354/21 (Registrų centras VĮ) vergangen (bnt-Litauen hat das besprochen unter „Litauen: Urteil in EuGH-Rechtssache C-354/21 birgt Sprengstoff“, hier), aber bisher gibt es keine Reaktionen von Katasterämtern in der Tschechischen Republik oder Litauen, auch nicht von Nachlassgerichten oder Grundbuchämtern in Deutschland. Die Frage ist, wie die ENZ in Deutschland und anderen Ländern ausgestellt werden müssen, und wie sie in solchen Ländern, die Vermögensgegenstände in den ENZ aufgeführt haben wollen (Litauen, Tschechische Republik, Slowakei, Ungarn, Kroatien etc.), vorgelegt und geltendgemacht werden können.

Das Problem ist so alt wie die ENZ, die aufgrund der EU-Erbrechtsverordnung EU/650/2012 eingeführt wurden. Für alle Erbfälle in der EU – außer dem Vereinigten Königreich und Dänemark – kann ab dem 15. August 2015 ein sog. ENZ ausgestellt werden. Dies kann dann in den anderen EU-Ländern vorgelegt werden, wenn es dort Nachlassvermögen gibt. Zum Beispiel: ein Erblasser stirbt in Deutschland und hat ein Bankkonto in Österreich, eine Wohnung in der Tschechischen Republik und ein Ferienhaus in Litauen. Seit dem 15. August 2015 müssen dessen Erben in diesen drei Ländern, und auch allen anderen EU-Ländern, außer dem Vereinigten Königreich und Dänemark, kein Untererbverfahren anstrengen, sondern können das ENZ zur Umschreibung des Bankkontos in Österreich, der Wohnung in der Tschechischen Republik und des Ferienhauses in Litauen verwenden.

Dabei ist klar, dass das ENZ als beglaubigte Abschrift ausgestellt werden muss, keiner Apostille bedarf und innerhalb seiner Gültigkeitszeit – meist sechs Monate – bei den Banken und Katasterämtern in Österreich, in der Tschechischen Republik und in Litauen vorgelegt werden muss. Es gilt der Vorlagetag, die Eintragung kann dann auch nach Ablauf der Gültigkeit des ENZ erfolgen.

Die erste Streitfrage, die weder in der EU-Erbrechtsverordnung EU/650/2012, noch in der Durchführungsverordnung VO EU 1329/2014 eindeutig geregelt ist, liegt darin, ob das ENZ amtlich beglaubigt übersetzt werden muss. Denn eine Übersetzung des ca. 12-15-seitigen Dokuments ist teuer – sie kann bis 500 EUR kosten -, auf der anderen Seite liegen die ENZ in allen EU-Amtssprachen bereits in der Durchführungsverordnung VO EU 1329/2014 fertig (ohne die konkreten Angaben) vor. Die Notwendigkeit einer beglaubigten Übersetzung wird unterschiedlich gehandhabt, Banken begnügen sich oft mit dem Original (z.B. auf Deutsch), und schreiben Konten, z.B. in Österreich (hier kein Sprachproblem), aber auch in der Tschechischen Republik und in Litauen um. Grundbuchämter in der Bundesrepublik Deutschland akzeptieren italienische ENZ nur auf Italienisch, aber Katasterämter in der Tschechischen Republik, der Slowakei, und in Litauen akzeptieren ENZ aus der Bundesrepublik Deutschland nur mit einer amtlichen Übersetzung ins Tschechische, Slowakische (beide Sprachen werden gegenseitig anerkannt) oder ins Litauische.

Das ist ärgerlich bei sehr kleinen Nachlassvermögen auf Bankkonten, z.B. bis ein paar 100 EUR, weil oft vorher nicht klar ist, wie hoch die Beträge auf den Konten überhaupt sind. In diesem Fall kostet die Übersetzung des ENZ dann mehr, als auf dem Konto vorhanden ist.

Die zweite schwierige Frage ist, ob z.B. Bankkonten, Geschäftsanteile, aber insbesondere Immobilien in das ENZ in der Anlage IV Punkt 9 eingetragen werden müssen. Wegen der „Universalsukzession“ lehnen das z.B. Gerichte in Bayern, Thüringen und Baden-Württemberg ab, Grundbuchämter und Immobilienkataster z.B. in der Tschechischen Republik, der Slowakei und Litauen verlangen das aber. Darum ging es auch in der Sache C-354/21 (Registrų centras): das litauische Registrų centras, d.h. Zentralregister für Grundeigentum, weigerte sich, das aus Baden-Württemberg (AG Bad Urach) stammende ENZ anzuerkennen, weil die litauischen Immobilien im ENZ nicht eingetragen seien. Dieser Auslegung gab der EuGH recht, und zwar aus dem Grunde, dass Art. 68 lit. l) EuErbVO eine Angabe, dann in der Anlage IV Punkt 9 umgesetzt, ermögliche und dass das Katasterrecht im nationalen Recht geblieben sei, d.h. im litauischen bzw. tschechischen oder slowakischen Recht. Deswegen müsse sich das ausstellende Gericht immer vergewissern, ob im Zielstaat eine Aufzählung der Immobilien etc. notwendig sei, und das Amt im Zielland könne dies auch verlangen.

Bei einem Alleinerben, aber auch mehreren Erben, macht das natürlich nicht viel Sinn, sei aber außerhalb der EuErbVO und im Ermessen der Zielländer.

Deswegen wird es in Zukunft darauf ankommen, schon bei der Beantragung der ENZ das Nachlassgericht auf diese Fragen hinzuweisen, d.h. auf die Aufführung insbesondere von Immobilien, die im Nachlass sind, zu bestehen. Das dürfte aber die Nachlassgerichte in der Regel überfordern, denn sie müssten sich mit finnischem, griechischem, portugiesischen oder irischem Katasterrecht auseinandersetzen.

Gerade für die Übergangszeit ist die Frage, wie schon ausgestellte ENZ geltendzumachen sind, gar nicht geklärt.

Das tschechische Zentralkatasteramt hat eine pragmatische, um nicht zu sagen Schweijk´sche Lösung erfunden, die auch etwas an Baron Münchhausen erinnert: der Erbe kann in freier Form, aber auf Tschechisch und amtlich beglaubigt, d.h. am besten auf der Botschaft oder einem Generalkonsulat der Tschechischen Republik oder auf einem tschechischen Postamt oder bei einem tschechischen Rechtsanwalt oder Notar, schriftlich erklären, dass er Erbe geworden ist, und zwar nach wem und von was – hier werden dann die Grundstücke, Immobilien etc. aufgeführt. Das reicht dann für Eintragung aus, auch wenn das ENZ über solche Details schweigt.

Wie Litauen oder die Slowakei in Fällen vorgeht, in denen die Nachlassgerichte in Deutschland die Aufzählung von Vermögen im ENZ weiterhin verweigern und von den Erben im Zielland deswegen das ENZ ohne diese Angaben vorgelegt wird, ist nicht bekannt.

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