Auch nach 85 Jahren können Sie die Ihnen zustehende Staatsbürgerschaft erhalten

Glückliches Ende nach 85 Jahren: die deutsche Botschafterin in Israel übergab vor einem Jahr an Yudith R. und ihre Familie die deutschen Staatsangehörigkeitsbescheinigung persönlich in einem israelischen Kibbutz.

Als ein israelischer Manager mit Wohnsitz in London beim Büro von bnt in Prag im Sommer 2020 anrief mit der Bitte um die deutsche Staatsbürgerschaft, schien dies nicht unbedingt ein Fall für bnt zu sein.

Die von ihm aufgeworfene Frage war allerdings interessant: nach dem Brexit, und mit dem baldigen Ende der Übergangszeit, brauchte er unbedingt einen EU-Pass, um in London und in den Niederlanden zu arbeiten (er war Doppelbürger des UK und von Israel). Seine Großmutter war als Edith Nachmann im Jahre 1920 in Rastatt in Baden (Südwestdeutschland) geboren und schon im Jahre 1937 nach Palästina emigriert. Eine schnelle Recherche im Internet ergab, dass sogar ein sog. Stolperstein vor dem Haus Augustastr. 48 in Rastatt in Erinnerung an die Familie von Karl Nachmann und seiner Frau Else Nachmann, geb. Maier und deren fünf Töchter verlegt worden war (auf dem Foto rechts ist Edith Nachmann als junges Mädchen zu sehen). Wirklich erstaunlich war aber die Tatsache, dass Gertrud in den USA im Alter von 105 lebte, und Edith in einem Kibbutz in Israel gerade ihren 100. Geburtstag gefeiert hatte. Es folgten hektische Archivrecherchen in Deutschland (in Rastatt; in Köln, von wo Ediths Ehemann, ein jüdischer polnischer Staatsbürger, stammte, der nach Palästina im Jahre 1938 emigriert war). Recherchen waren auch notwendig in Israel, wo Edith Anfang 1942 geheiratet hatte, als sie schon staatenlos war. Die Staatenlosigkeit folgte wegen der berüchtigten 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941. bnt bestellte Originale von den Standesämtern in Rastatt und Israel. Eine rechtliche Beurteilung zeigte, dass erst nach der Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 20. Mai 2020 (2 BvR 2628/18) dieser Fall unter Art. 116 Abs. 2 Grundgesetz lösbar geworden war, weil erst diese Entscheidung eine langjährige Diskriminierung von deutschen Frauen, die bis 1953 Ausländer geheiratet hatten und daher ihre deutsche Staatsbürgerschaft nicht weitergeben konnten, beseitigt hatte.

Die Anträge von Edith, ihrer Tochter, ihrem Enkel und von drei Urenkeln wurden im Oktober 2020 bei der Deutschen Botschaft in London eingereicht. Nur ca. 15 Tage später wurden diese vom Bundesverwaltungsamt in Köln bewilligt, und zwar wegen des Alters der Hauptantragstellerin, die zur sog. “Erlebnisgeneration” gehört, ein Euphemismus der deutschen Verwaltung für Zeitzeugen des Holocausts, die die deutsche antijüdische Politik zwischen 1933 und 1945 überlebt hatten. Wegen der Corona-Pandemie und diversen Lockdowns in Israel verspätete sich die Ausgabe der Staatsangehörigkeitsurkunde bis Februar 2021, weil diese Urkunde nach § 16 StAG persönlich übernommen werden muss. Yudith R. – unter diesen Namen lebte Edith im gleichen Kibbutz seit 1937 – war aber auch nicht mehr imstande, zum Schalter der Deutschen Botschaft in Tel Aviv zu kommen. In einem seltenen Fall von bürokratischer Flexibilität der deutschen Verwaltung händigte die deutsche Botschafterin in Israel genau vor einem Jahr die Staatsangehörigkeitsurkunde persönlich an Yudith R. aus, fast 85 Jahre nach deren erzwungenen Emigration nach Palästina. Im Februar 2021 frug die alte Dame: “Und sind wir jetzt wieder Freunde?”, und die Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland in Israel bejahte dies.

bnt ist froh, dass es mithelfen konnte, diese dramatische Geschichte zu einem guten Ende zu bringen und damit ein wenig Gerechtigkeit für Edith Nachmanns Familie zu bewirken.

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